Er war der unprätentiöse Gegenentwurf zu Jagger und Richards; er war derjenige, welcher den Laden überhaupt zusammengehalten hat bei den Rolling Stones. Doch Charlie Watts hat es nicht mehr geschafft. 80-jährig, verstarb der Schlagzeuger der Stones im August, nur wenige Wochen vor der Veröffentlichung des Bildbandes „Unzipped“. Ein Bildband? Ein neues Buch über die Rolling Stones? Gibt es davon nicht bereits genug? Wurde über die Stones nicht schon alles aufgeschrieben, alles erzählt? Eigentlich schon – und auch wieder nicht. Seit mehr als einem halben Jahrhundert begeistern die Rolling Stones ihr Publikum. Mittlerweile längst weltweit, mehrere Generationen strömen dazu in die Stadien, um die Rocklegenden als Winzlinge im Meer der Tausenden zu erahnen.
Für sexuelle Freiheit – gegen Mief und Spießigkeit
Verwegen, sexuell ausschweifend und mit verstetigtem Gespür fürs Spektakel – das sind Markenkerne der größten Rock ’n’ Roll-Band der Welt. Musikalisch war sie gar nicht so stilbildend, sie kopierte viel aus der schwarzen Musik, aus dem Rhythm & Blues, aber sie stand früh für sexuelle Freiheit – gegen Mief und Spießigkeit. Waren die Beatles die Intellektuellen, so bildeten Jagger & Co. den Gegenpol mit ihrer ehrlichen Arbeiterschaft (Randnotiz: Ehrliche Arbeiter waren sie nur auf der Bühne, ihren bürgerlichen Hintergrund versteckten sie anfangs).
Charlie Watts, der am 24. August 2021 starb, war jahrzehntelang der Counterpart zu Mick Jagger, Keith Richards und Ronnie Wood: keine extravagante Bühnenshow, kein Sexgeschichten, Jazz statt Rock’n'(P)roll. Der WDR nannte Watts in seinem Nachruf den Stoiker der Stones. Die diamantene Bühnenhochzeit ist ihm nicht mehr vergönnt – 2022 wird der eheliche Rest-Dreier ohne ihn das 60-jährige Jubiläum des Auftrittsgelöbnisses begehen. Dazu wurde eine Wanderausstellung kuratiert und mit „Unzipped“ erschien zum Einstimmen auf die Feierlichkeiten ein großformatiger Text- und Bildband am 1. Oktober dieses Jahres bei Edel Books. Edel ist er, hochwertig ausgestattet, opulent. Allein die papierne Qualität – in einem Jahr, in dem es an Papier mangelt und die Preise dafür durch die Decke gehen. „Unzipped“ ist ein echtes Table-Buch, ziemlich gewichtig, so was stellt man nicht ins Regal, sondern auf dem Tisch aus.
400 Devotionalien und Momente des vermeintlichen Unbeobachtetseins
Für „Unzipped“ hat die Band die Reißverschlüsse der Archive aufgerissen: Exklusive, bislang unveröffentlichte Dokumente und Fotos gibt es zu bestaunen. Jagger, Richards, Watts und Wood kommentieren ausführlich und unterhaltsam die Devotionalien – mehr als 400 Aufzeichnungen, Instrumente, Bühnenkostüme, Skizzen, Notizzettel, Album-Cover, aber auch Momente des vermeintlichen Unbeobachtetseins.
Schwerpunkte bilden Fragmente aus Mode, Design und Kunst. Neben Interviews der Steine reden Weggefährten. Buddy Guy erklärt und zieht die Blues-Wurzeln der Rolling Stones, Produzent Don Was kommentiert die Arbeitsweise der Band im Studio, Martin Scorsese schreibt über seinen Bandfilm „Shine a light“ von 2006 und Grafikdesigner John Pasche sinniert über die Entstehung des ikonischen Zungen-Logos, das auch das Artwork von „Unzipped“ ziert.
Auf 288 Seiten gibt es viel zu entdecken, nicht nur für Hardcore-Fans, sondern für alle, die sich für mehr als nur „Satisfaction“ interessieren. Das Hardcover „The Rolling Stones: Unzipped“ ist am 1. Oktober dieses Jahr bei Edel Books erschienen, das wertige Werk kostet 39,95 Euro in Deutschland, in Österreich 41,10 Euro.
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