War es das schon? Das Konzert des Jahres 2015? Es war nicht nur ein Konzert. Was der Amerikaner, der diese Woche 41 Jahre alt geworden ist, in Neu-Isenburg veranstaltete, kommt eher einer Messe gleich als einer Musikshow.Kurz vor 21 Uhr betritt D’Angelo mit einer neunköpfigen Band die Bühne der Vorort-Stadthalle, auf der auch schon Brian McKnight, Dru Hill, Eric Benét, Bill Wyman’s Rhythm Kings und Kid Ink standen. Er steigt ein mit „Prayer“ vom neuen Album, das im Lauf der nächsten beiden Stunden fast vollständig gespielt werden wird.
Hochpreisiges für höchste Ansprüche
Es ist etwas kühl, die Halle könnte voller sein. Geschätzt 700 Connaisseure sind da, einige Gesichter scheinen bekannt, weil man sie zuletzt bei den Kings of R&B (mit Joe, Ginuwine und Total) gesehen hat. Dennoch eine rein zahlenmäßige Ernüchterung für das Rhein-Main-Gebiet; vor dem Hintergrund, dass in Wiesbaden 160.000 Amerikaner eine Heimat auf Zeit finden. Bei Eintrittspreisen zwischen 50 und 70 Euro ist klar, dass ein solcher Auftritt im Osten gar nicht möglich wäre. Aber D’Angelo gehört zum Besten, was der zeitgenössische Soul mit tiefer Verwurzelung in der Genretradition zu bieten hat. Und eine Nena verlangt für ihre Tickets ähnliche Beträge, obwohl sie in einer ganz anderen Liga spielt – und nicht einmal spielt.
Karomuster und Stars + Stripes
Auf der Bühne lässt D’Angelo den lässigen Künstlerlümmel heraushängen: schwarze Winterstiefeletten, Schlumperhose, bequemer schwarzer Kittel und Hut – er weiß um seinen Genius und braucht den Samt nicht. Dennoch wird er sich oft umziehen und wahlweise mit rot-schwarz-kariertem Poncho oder in Lederjacke und umgehängter US-Flagge auf eine Hendrix-Pose anspielen.
Nach den ersten Minuten stellt D’Angelo seine Band vor. Bei einem musician’s musician wie ihm sind keine Wochenend-Mugger am Start, sondern mit Pino Palladino ein weltweit gefragter Star-Bassist, der schon mit Elton John, Genesis und Eric Clapton gearbeitet hat. Außerdem im Ensemble: Jesse Johnson von der Funkband The Time und Chris „Daddy“ Dave an den Drums. Wenn Pino Palladino und der von Mint Condition bekannte Schlagzeuger gemeinsam das Fundament für den Groove gießen, muss nicht weiter geschrieben werden. Das war meisterliche Baukunst.
Mikrowechsel als Marotte
Schnickschnack? Starallüren? Nervige Lichteffekte? Gab es alles nicht an diesem Abend, an dem reine Livemusik zelebriert wurde. Die einzige Marotte des Meisters: seine Gesangsmikrofone wurden im Minutentakt gewechselt wie Flip Flops. „Clap your hands“ appellierte D’Angelo häufig an sein Publikum, das sich wie in Trance verhielt und seinem „Holy Preacher“ entsprechend huldigte.
Es sollte die von der Musikpresse erwartete Soulorgie werden: das wundervolle neue Album „Black Messiah“, dazu Stücke aus „Voodoo“ und „Brown sugar“ – allein die Ausdehnung von „Brown sugar“ über call & response ist ein Fall für das Langzeitgedächtnis, für diesen Song wechselte Palladino sogar seine Bassgitarre aus. Auf der Bühne ging es unentwegt zu, als wenn Sly Stone, Prince und Parliament/Funkadelic eine Kabine im Mothership gemeinsam belegt hätten. Gesanglich erinnerte D’Angelo auffallend häufig an Larry Blackmon, den Kopf der Funkband Cameo.
Lange Pause und Magie in der Luft
Nach einer guten Stunde die erste Pause. Die erschien lang, ungewöhnlich lang. Sollte D’Angelo hier etwas abziehen, das sein Seelenverwandter und musikalischer Bruder Prince schon zur Fanverärgerung beigetragen hat? Dazu kam es nicht, denn nach gefühlten zehn Minuten, die vom Publikum durchgefeiert wurden, kam die Zugabe, die mit mehr als einer halben Stunde eigener Konzertteil war. Nach gut zwei Stunden löste sich die Messe über „How does it feel“ auf: Nach und nach verließen die Musiker ihre Arbeitsplätze. Zurück blieb ein glücklicher Fanblock. Es lag noch immer etwas Magisches in der Luft.
Publikum begeistert, Presse jubelt. Bei den drei ausstehenden Shows wird es vermutlich nicht anders enden. Am Samstag (14. Februar) spielt D’ Angelo in der Berliner C-Halle, am 24. Februar in Hamburg (Docks) und am 6. März im Kölner Tanzbrunnen. Die Bewerbungsunterlagen für das Konzert des Jahres sind jedenfalls eingegangen. Welcher Kandidat soll das in diesem Jahr noch toppen?
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