Mit nur zwei YouTube-Videos und einer Handvoll Reime katapultierte sich Mohamed El Moussaoui aka. Mo Trip 2011 aus dem tiefsten Aachener Untergrund in das kollektive Bewusstsein einer ganzen Nation. MoTrip ist das, worauf seine Szene so lange vergeblich gewartet hat: ein Rapper, der das Beste seiner Vorgänger in sich vereint – und dadurch etwas Ureigenes und auf überwältigende Weise Neues schafft. Im Jahr 2012 erschien sein Debütalbum „Embryo“.
Was hat dieser Mann, dass ihn Sido direkt bei der ersten Begegnung auf sein Album einlädt? Dass Kool Savas ihn auf Basis lediglich dreier Trackskizzen in sein berüchtigtes Trainingslager der Toptexter beordert. Dass ein waschechter Veteran wie Samy Deluxe zu Protokoll gibt, in ihm neue Motivation als Rapper gefunden zu haben?
Zunächst einmal fällt einem die unbändige Energie auf, die der junge El Moussaoui an den Tag legt. Selbst in beiläufigen Bemerkungen scheint er zu rappen, wie einst der große Mohammed Ali. Jeder Nebensatz ist eine Punchline, jede Bewegung eine Geste. Wie ein tänzelnder Boxer durchmisst er das Studio, bereit für den größten Kampf seines Lebens. Die Gesangskabine ist sein Hoheitsgebiet, seine Welt. Und tatsächlich: Sobald die erste Silbe aus den Boxen ballert, ist man in ihr gefangen. Willkommen auf dem MoTrip.
So viel Respekt quer durch alle Lager genießt in der Szene tatsächlich keiner. „Ich habe wahnsinnig viel von all diesen Leuten gelernt. Wenn ich ihnen das auch nur minimal zurückgeben kann, dann macht mich das sehr stolz.“
Geboren wurde MoTrip 1988 in Beirut, Libanon: Der Mittelmeermetropole im Mittleren Osten, in der vermutlich mehr Gegensätze aufeinander prallen als irgendwo sonst auf der Welt. Schönheit und Zerstörung, Lebensfreude und Tod, Liebe und Kampf.
Schon als Kind flüchtete er mit seinen Eltern vor dem wütenden Krieg ins bürgerliche Aachen, aber die Gegensätze und Widersprüche haben Mo Trip nie losgelassen.
Auf der einen Seite waren da die Realitäten der Straßen, auf denen er als Jugendlicher mit sogenanntem Migrationshintergrund heranwuchs, die Vorurteile seiner Umgebung und die damit scheinbar zwangsläufig einhergehenden Erfahrungen. Auf der anderen Seite aber war immer schon diese Liebe zur Sprache, die MoTrip gleichsam in die Wiege gelegt wurde. Sein Vater schrieb im Libanon Gedichte, sein großer Bruder ist ebenfalls Rapper. „Dieses Talent ist bei mir genetisch“, erklärt er mit einem breiten Grinsen, während er von den ersten Rapversuchen seines gerade einmal 16-jährigen kleinen Bruders schwärmt. „Da reimt sich alles, vorne, hinten und in der Mitte noch mal. Unglaublich. Das liegt bei uns in der Familie. Ich war in der Schule schon besser in Deutsch als die ganzen Deutschen. Ich habe zwar ‚isch’ und ‚disch’ gesagt, aber die Wörter mussten immer genau die richtigen sein. Ich bin einfach der deutscheste Kanacke überhaupt.“ Oder um es, nicht weniger augenzwinkernd, mit dem Titel einer seiner stärksten Songs zu sagen: der erste Kanacke mit Grips.
Auf die Musik von Mo-Trip übertragen bedeutet das: kantiger Straßenrap im Geiste von Queensbridge, Paris-Boulogne und Berlin-Kreuzberg. Aber mit einer Musikalität, Wortgewalt und Raffinesse, wie sie das Genre hierzulande noch nicht gesehen hat. Egal ob MoTrip „übers Schreiben schreibt“, die Illusion falscher Ideale, die missverstandene Macht des Schicksals oder die zerstörerische Kraft der Liebe – die von ihm selbst formulierte „Trip-Theorie“ wendet er konsequent auf jeden Song, jede Strophe, jede Silbe an: „Deine Stimme plus die Technik mal die Flows geteilt durch Skills ist gleich der Inbegriff von Freshness. Nimmst du das noch minus Wackness minus Fake minus Shit minus Hate ergibt Trip.“
Es schwingt auch etwas Sarkasmus mit in dieser Formel, ja der ganzen Idee, man könne sich eine Karriere nach dem Baukastenprinzip zusammenstellen. Aber so viel hat Mo Trip gelernt über das Geschäft in all den Jahren, in denen er an der Seite von Rappern wie Kool Savas, Fler, Olli Banjo, Silla oder Samy Deluxe auf diversen Mixtapes und Alben erschien, ohne jemals selbst etwas veröffentlicht zu haben: dass es manchmal mehr auf Beziehungen und Marketing ankommt, denn auf Talent und Herzblut. Doch er ist angetreten, etwas zu verändern. Nicht mehr und nicht weniger. Mit echter Musik für echte Menschen. „Ohne arrogant klingen zu wollen: Coole Battletexte oder Wortspiele wie ‚Ich war noch ungeschickt wie ungeschriebene Emails’ schreibe ich dir in drei Sekunden mit links. Das ist keine Herausforderung. Ich will richtige Songs machen, über Themen, die die Leute berühren.“
So rappt MoTrip auf „Embryo“ von Familie und Freundschaft. Von Träumen und Glauben. Von gescheiterten Beziehungen und alltäglicher Unterdrückung und davon, warum man sich trotz allem nie davontragen lassen sollte wie eine Feder im Wind. Es sind klassische, große Themen. Aber MoTrip verzichtet dabei auf das hohle Pathos so vieler Kollegen. Die branchenübliche Herz/Schmerz-Logik ersetzt der bekennende Perfektionist durch tatsächlich prägnante Bilder, eine feine Singstimme und irr verschachtelte Reimstafetten: „Ich trag mein Herz am rechten Fleck, das hier ist mehr als rechter Rap / In erster Linie muss man ehrlich sein als Mensch / Denn wären wir alle ehrlich, wären wir mit der Arbeit hier schon lange fertig / Doch leider Gottes liegt die Wahrheit hier schon lang beerdigt / Ich schau’s mir an und merke, die Menschen sind verloren / Ich hab den Schlüssel hier, doch meine Hände sind erfroren.“
MoTrip selbst spricht von „blutenden Songs“: „Wenn man über wichtige Dinge im Leben spricht, dann muss man das auch spüren. Ich weiß, dass ich in meiner Musik viel von mir preis gebe, mich in gewisser Weise auch angreifbar machen. Aber das macht mir nichts. Viele Rapper vergessen durch den Erfolg, sie selbst zu bleiben. Aber ich will immer in erster Linie Mensch sein.“ Die Behauptung jedenfalls, er lebe, um aufs Blatt zu kritzeln – man glaubt sie ihm in jeder Sekunde.
Für ein Debütalbum klingt „Embryo“ erstaunlich ausgereift. Nachdenkliche Songs halten sich die Waage mit solchen, bei denen man einfach nur in den nächsten verfügbaren BMW springen, das Gaspedal durchdrücken und die Anlage bis zum Anschlag hochdrehen will. Mal löst MoTrip in seinen Hörern Gefühle aus, „die dich nachhaltig ändern wie der Frühling in arabischen Ländern“. Mal löst er sich selbst von der Schwerkraft und fliegt durch die Erdatmosphäre wie ein Astronaut auf einer Überdosis Adrenalin. Eindrucksvoll harmoniert dabei seine eindringliche, leicht nasale Stimme mit den ausgetüftelten Beats der Berliner Produzenten Paul NZA und Numarek.
Seit zehn Jahren schreibt Mohamed El Moussaoui nun schon Texte. Lange in der felsenfesten Überzeugung, daraus niemals, aber auch wirklich niemals eine Karriere machen zu können. Im Grunde sei er der lebende Beweis, dass man nicht an sich glauben müsse, erklärt er lachend, während er sein Album – sein Baby, dass er so lange mit sich herumtrug – noch ein bisschen lauter dreht. Es war nicht der Wunsch nach Ruhm und Groupies, der ihn über all die Jahre angetrieben und dorthin geführt hat, wo er heute ist. Es war die Liebe zur Musik und die späte Erkenntnis, dass es so etwas wie Schicksal zwar gibt, man es aber täglich aufs Neue selbst formen kann.
„Und auch wenn du mich in die unterste Schublade packst, komme ich am Ende hoch / Ich schreibe bis die Fruchtblase platzt – Embryo.“ (Quelle: Universal Music)
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