„Das ist mein Held!“, sagte der New Yorker Diskofunk-Veteran D-Train und zeigte auf Archie Bell, der neben ihm Schallplatten signierte. Anstelle von The Drells hatte der Texaner seine (Ur)Enkelin dabei. Auch bei der 9. Auflage des Baltic Soul Weekenders ging es familiär und familienfreundlich zu. Der Umzug von der Ostsee in die Bispinger Heide garantierte den Besuchern aus Süd- und Ostdeutschland eine kürzere Anreise und allen eine stilvollere Unterbringung im Vergleich zum bisherigen Standort, der seine Blüte in der 1970ern hatte – wie viele der Künstler. Die Amerikaner sind selten in Übersee, die Anhänger nutzten deshalb ihre Chance, Autogramme auf die Vinyltaschen aus ihrer Jugend malen zu lassen, Soulstars wie Archie „Tighten up“ Bell die Hand zu geben und mit D-Train in der gleichen Warteschlange an der Supermarktkasse zu stehen.
Weite Wege in der Heide
Die Wege in der gepflegten autofreien Urlaubsidylle in der Heideprovinz 60 Kilometer südlich von Hamburg waren weiter, doch nur wenige verliefen sich am ersten Abend. Nach dem Eröffnungskonzert des Baltic Soul Orchesters stand mit Candi Staton eine Legende des Genres auf der Bühne. Die First Lady des Southern Soul wäre stimmlich und optisch als 40jährige durch die Einlasskontrolle gegangen, dabei ist die Frau über 70. Sie präsentierte neben ihren Diskohits „Young hearts run free“ und „You got the love“ ihre großen Erfolge, die sie mit Coverversionen wie „Stand by your man“ und „Suspicious minds“ verbuchte. Und vergab die Gelegenheit, Stücke ihres gerade erschienen Albums einem interessierten Publikum in Deutschland vorzustellen, das zu einem Drittel aus Leuten besteht, die irgendetwas mit Medien machen. Nach der Frau aus Alabama spielten Bah Samba ihren eleganten Mix aus Brazil und britischem Soul, der im Bermudadreieck von Loose Ends, Paulinho Da Costa und den Brand New Heavies gut verortet ist.
In der Nacht wurde Musik seziert: Mit der Detailversessenheit eines Forensikers legte John Morales Diskoklassiker bis auf das Rückgrat frei, um völlig andersartige Versionen von z. B. „Lost in music“ (Sister Sledge) zu destillieren. Der Pionier des Maxi-Remixes gab zwei Unterrichtsstunden im Fach des respektvollen in die Länge Ziehens von Originalen.
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