Dann stehen die nicht vor um acht auf der Bühne, dachte ich, als mir der Veranstalter Frankfurter Hof Mainz die Auftrittszeit um 19.45 Uhr nannte. Doch es kam anders. Veranstaltungsort war die Zitadelle, eine ehemalige Festung, in bester Wohnlage in einem Villenviertel mit Parkblick. Entsprechend lang war mein Fußweg und der pünktliche Showbeginn wies mir den Weg mit „My promise“, dem dritten Song der neuen CD. Das wird ein tolles Konzert, wenn gleich zu Anfang ein Stück von „Now, then & forever“ präsentiert wird. Wer heute nicht da ist und einen Tag später den Auftritt in Hamburg versäumt, verpasst einen seltenen Abend.
Greatest Hits-Revue
Leider hat die Band die Gelegenheit verstreichen lassen, die geschätzt dreitausend Besucher (einige reisten sogar mit einem Bus aus Baden-Württemberg an!) von den aktuellen Songs zu überzeugen. Der Abend bestand aus knapp anderthalb Stunden Hitfeuerwerk – routiniert vorgetragen, und musikalisch perfekt. Die Bläsersektion der Tourbesetzung ist mittlerweile genauso scharf wie einst die Phenix Horns. „Fantasy“, „That’s the way of the world“, „In the stone“ – die bandeigenen Klassiker, die E, W & F immer vortragen, wurden frenetisch gefeiert von den vielen Ü-40-, einigen Ü-30- und wenigen Ü-20-Jährigen.
Mehr-Generationen-Kunst im Bandhaus
Die Bühne war klassisch zweigeteilt: hinten die Bläser sowie die Schießbude für das Fundament, vorn die Mitglieder der Urbesetzung. Verdine White war in Bestform, sprang umher wie ein junger Hüpfer, während er seinen Bass traktierte und einen (wie immer) traumhaften Funk gebar. Philip Bailey hatte schon bessere Bühnentage, aber er setzt mit seinem Falsett in Sachen Länge noch Maßstäbe. Wenngleich Unterschiede deutlich wurden für diejenigen, welche „Reasons“ von der grandiosen Live-Aufnahme in Japan zum Vergleich heranziehen können. Baileys Sohn kann da nicht mithalten. Der Junior übernahm den Leadgesang bei „September“, wobei die Feinheiten vom Geröll des Mitklatschvulkans verschüttet wurden. Zu einer Zugabe ließ sich die Band nicht lange bitten, doch nach 90 Minuten machte sie pünktlich Feierabend.
Tendenz zum Zweitjob
Im gleichen Moment erklang „Dance floor“, einer der hitverdächtigen Songs vom neuen Album (erscheint am 6. September) – leider vom Band. Danach passierte etwas, dass einflussreichen Künstlern einfach unwürdig ist. Per Lautsprecher wurde zum kostenpflichtigen meet & greet aufgerufen; eine Unsitte, die vom Feuilleton nicht oft genug gegeißelt werden kann. Ein Backstage-Pass, eine CD „Live in Rio“ und ein Foto mit den Musikern kostete für zwei Leute wahlweise 100 Dollar oder 100 Euro (also 130 Dollar, wer gerade kein Papier im Wert von 100 Benjamins in der Hosentasche hatte). Eine Amerikanerin, die es aus D.C. ins Rhein/Main-Gebiet verschlagen hatte, sagte mir am Merchandising-Stand, es sei ihre einzige Chance, die Künstler persönlich zu treffen und ihr Mann habe bezahlt. Etwa zwei Dutzend Fans blechten für die Stippvisite hinter der Bühne. Unverständlich, dass eine Band, die um die einhundert Millionen Platten verkauft hat, auf diese Art ein paar Tausender zusätzlich einsackt. Boyz II Men haben das in Wiesbaden ähnlich praktiziert. Dass es anders besser ist, demonstrierte Musiq im Mai in Frankfurt. Auch beim Sommerkonzert in Mainz vor drei Jahren mit den Superstars David Sanborn und Tower Of Power kamen Bandmitglieder nach der Show mit ihren Fans ins Plaudern.
Und so wurde einem ein eigentlich sehr schöner Konzertabend leider etwas vergällt: durch unnötige Geldschneiderei nach der Show sowie viel zu wenig von den neuen Songs, die Earth, Wind & Fire gerade eingespielt haben und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sofort live spielen könnten.
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