Alt wird de facto zu neu, denn die meisten der 45 Songs aus der Disco-Ära, die auf fünf CDs bzw. zwei Doppel-LPs gepackt wurden, kennt eigentlich niemand. Es ist kein Zufall, dass die Universal Robot Band mit dabei ist, verpflichtet doch ihr zehnminütiger Monsterjam „Barely Breaking Even“, der Namensgeber für das feine Label BBE mit Sitz in London ist. Von dieser Band wurde jedoch hierfür der weit weniger gedrehte Titel „Disco Boogie Woman“ genommen – der Name ist Programm.
Universal Robot Band und Power of Attorney sagen Funkinsidern der Altersklasse Ü 40 natürlich etwas, aber allein diese Namen zeigen, dass es Disco ohne den Vorarbeiter namens Funk nie gegeben hätte (später ließ sich House als weiteres Glied dieser Kausalkette anfügen und wer weiß, was noch kommen wird).
Der schottische Vinylausgräber Al Kent macht mit seiner umfangreichen, tief- und hintergründigen Auswahl hörbar, wie anspruchsvoll Discosound damals gewesen ist – in diesem Kontext ist auch die Beschreibung „handgemacht“ so unvermeidlich wie Andreas Schmidt-Schaller als Kriminalpolizist im deutschen Fernsehen. Gerade weil im mitteleuropäischen Mainstream für Seventies-Disco oft nur geklonte Spaßmacher wie Boney M., Eruption oder Luv inklusive des ZDF-Opas Ilja Richter stehen. „Stayin’ Alive“ der Bee Gees und bestenfalls noch Chic werden hierzulande als Discosound übersetzt.
Der Kompilierungsjob des Disco-Spezialisten Al Kent wertet also eine ganze Ära auf. So regt Executive Suite zum Grübeln an, ob „Why In The World Do They Keep On (Funk’in With Me)“ noch Funk oder vielleicht schon Disco ist. Weil es dazu -im Gegensatz zur eindeutigen Blaxploitation in Cover und Inlay-Poster- keine einheitliche Meinung geben kann, wird man sich leicht auf das Prädikat “gute Musik” einigen. Neben solchen Fragestellungen und dem damit verbundenen popkulturellen Erkenntnisgewinn offeriert „The Best Of Disco Demands“ vor allem viel Tanzbares jenseits von Schlaghosenklischees. Und was spricht eigentlich dagegen, dass Independent Discosound mit mehr als 30 Jahren auf der Rille das nächste große Ding für die Hipster der deutschen Großstädte wird? Nichts, wenn die DJs mitspielen und spielen, spielen, nochmals spielen.
Al Kent pickte als Einstieg in die recht umfangreiche Materie einige Stücke als Turbo für den Appetit heraus.
Übrigens, BBE Records hat schon wieder nachgelegt: auf zwei CDs bzw. vier Vinyle erstreckt sich eine Werkschau des bis 1974 wahrnehmbaren New Yorker Labels Perception Productions & Today Records. „The Best Of Perception & Today Records“ fotografiert das Labelspektrum, das sich zwischen Groove Jazz, Funk, Soul und Disco einzäunen lässt. Der Doppel-Sampler soll am 24. April dieses Jahres erscheinen.
Künstler: Various Artists | Album: The Best Of Disco Demands (A Collection Of Rare 1970s Dance Music) | Label: Bbe (Alive) | VÖ: 20. Januar 2012 | Album des Monats: April 2012
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