Einmal im Jahr ist in dem Ferienpark am Weißenhäuser Strand mit viel Charme der 70er Jahre alles anders: dann kommt ein Publikum, das keine gelben Ostfriesennerze trägt. Die Soulfamilie reist aus dem ganzen Land zur Reunion an. Man sieht den Leuten, die in Deutschland eine Minderheit bilden, irgendwie an, das sie anders sind: entspannt, ausgeglichen, tolerant, rücksichtsvoll und zufrieden, wenn sie gute Musik hören können. So sind sie, Liebhaber von Soul eben. Ende April wurde die Minder- wieder zur Mehrheit und machte etwa 90 Prozent der Wochenendgäste an dem Strandabschnitt der Ostsee aus.
Der BSW ist ein Musikfestival, das sich von anderen in vielerlei Hinsicht unterscheidet. Vor allem in punkto Familientauglichkeit. Die meisten Gäste sind deutlich über 30, viele wollen Zeit mit Partnern bzw. Kindern UND Konzertabende unter einen Hut bekommen. Die Festivalmacher sorgen dafür, dass jeder ein schönes Wochenende am Meer verbringen kann. Dafür eignet sich die Ferienanlage bestens, bietet sie (gerade noch) ausreichende Parkmöglichkeiten, einen Supermarkt mit vertretbarem Preisniveau, eine Mini-Mall, Spielplätze und kurze Wege für den verwöhnten Cluburlauber bzw. die Mama, die dem kleinen Schreihals vor ihrem Lieblingskünstler noch eine Gute-Nacht-Geschichte rezitieren muss.
Ein feines Detail: das Festivalradio mit Kenny B. und Bernd Niedergesäß, das rund um die Uhr feinste Klänge zwischen Soul, Jazz und R&B in jedes Gästezimmer brachte.
Musik stand klar im Vordergrund, dazu wurden die Bühnen von dezentem Festivaltreiben als Beiprogramm umspült. Keine endlos aneinander gereihten Fressbuden, die mit Pizza, Würsten und überteuerten Dönern Krawall und Gestank produzieren. Stattdessen Restaurants diverser Preisklassen, frischer Fisch und der EDEKA für den Selbstversorger.
Es fällt schwer, einzelne musikalische Höhepunkte hervorzuheben, dafür war die Qualität der meisten Live-Acts und DJs zu hoch. Für mich waren Leon Ware, DJ-Legende John Morales, Omar und Eddie Piller die subjektiv interessantesten Acts. Wann kann man die schon in Deutschland live sehen?
Nachdem am ersten Festivalabend The Surpremes in Originalbesetzung (ohne Diana Ross) Motownsound präsentierten, beeindruckte Leon Ware am Samstag allein durch seine Anwesenheit. Der Mann, der u. a. für Marvin Gaye Meilensteine geschrieben hat, legte einen einer lebenden Legende würdigen Bühnenauftritt hin. Als Überraschung gab es einen Kurzauftritt von George McCrae, der jeden Ton traf und live mit einer furiosen Stimme mitriss. An „Rock You Baby“ kam er nicht vorbei.
Im Vorfeld gab es Wirbel um die Sugarhill Gang, die wegen abgetretener Namensrechte in Deutschland schlussendlich doch als Rapper’s Delight auftreten musste. Diese Randnotiz störte niemanden mehr, als mehrere tausend im Hauptzelt die Gang bejubelten, die ebenso wie die vor ihr aufgetretenen Künstler souverän vom Baltic Soul Orchestra begleitet wurde.
Die Nacht wurde lang, denn Groove Doctor Kenny B. reihte Perle an Perle auf wie in seiner legendären Personality Show „Kenny B. on air“ auf JAM FM in Berlin. Ein Programm-Highlight: der Auftritt von Omar, der musikalisch anspruchsvolle Kost im Grenzbereich von Soul und Jazz präsentierte.
Omar hatte zuvor einen Kurzauftritt im Set von Leon Ware, aufmerksame Festivalbesucher konnten Omar schon am Nachmittag treffen, denn er hatte keine Berührungsängste und sich unter das Soulvolk gemischt – gemeinsam mit seiner kleinen Tochter, die in Sachen extravagante Haarfrisur schon ganz nach ihrem Papa kommt. Auch Mousse T. wurde im lockeren Gästepulk gesichtet.
Künstler zum Anfassen – das ist ein weiteres Plus, das den BSW so sympathisch macht. Die Surpremes, Andrew Roachford, Leon Ware und andere standen bereit für einen Quickie mit ihren Fans: ohne Zeitregime oder Druck von irgendwelchen PR-Wichtigtuern posierten sie bereitwillig, bis auch das letzte Foto für das Familienalbum im Kasten war, alle mitgebrachten Platten signiert und die Small Talks beendet waren. Der deutsche Black Music-Fan hat schon andere Erfahrungen machen können, z. B. bei der diesjährigen Tour von Boyz II Men, bei der meet & greets verkauft wurden.
Ausschlafen, packen und nach dem Mittagessen am Sonntag in die Disco gehen – mit Kenny B. und DJ Friction klang ein angenehmes Wochenende standesgemäß aus. Beim nächsten Mal (Weekender # 7 beginnt am 26. April 2013) werde ich mir zudem die „Final Hour“ mit Festivalmacher Dan D. bis zum Schluss geben, denn es fiel mir gehörig schwer, die Fatback Band mit „I Found Lovin’“ zu hören und schon gehen zu müssen.
Aber vielleicht werde ich dies noch im laufenden Jahr nachholen können. Denn die Festivalmacher exportieren ihr Konzept auf die Kanaren. Anfang Dezember wird es den ersten „GranCanSoul“ auf –richtig- Gran Canaria geben. Vom 2. bis 9. Dezember legen auf der Insel u. a. Dan D. und Kenny B. auf, darüber hinaus gibt es Privatkonzerte von z. B. Joe Bataan, Omar und George McCrae. Golfspielen mit Mousse T., BBQ, zehn exklusive Veranstaltungen und eine Woche im Vier-Sterne-Hotel auf Gran Canaria haben jedoch ihren Preis: 1199,- Euro kostet die Woche auf der Insel, das Ganze ist limitiert auf 300 Leute. Mehr Informationen stehen auf www.grancansoul.com
Fazit: Der Baltic Soul Weekender 2012 war ein gediegenes Musikfesival für nette und anspruchsvolle Menschen. Das Konzept, Soulmusik zu goutieren und parallel ein entspanntes Wochenende am Deich zu verbringen, funktioniert bestens, ist aber bei weitem nicht ausgereizt. Künstler wie Anthony Hamilton oder Maxwell würden das Festival noch hochwertiger machen. Auch Vertreter aus dem Contemporary Gospel-Bereich wie VaShawn Mitchell wären denkbar, es müssen ja nicht The Winans sein. Logisch, alles ist mit Finanzierungsvorbehalten verbunden. Aber würde sich bei z. B. Deborah Cox („Sentimental“) oder Rebecca Ferguson („Too good to lose“) überhaupt die Geldfrage stellen? Die Messlatte beim BSW ist wirklich hoch aufgelegt: Leon Ware war da, auch Fatback stand schon auf der Weekender-Bühne. Kommt irgendwann The S.O.S. Band?
Ihr wollt mehr sehen vom Baltic Soul Weekender 2012, dann schaut Euch unsere Galerie an. Hier das Baltic Soul Weekender in Bildern mit allen Fotos:
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