So ist das bei Auftritten von Künstlern, die als „Artist’s Artist“ gehandelt werden. Das „Nachtleben“ in Frakfurt a. M. hätte voller sein können, doch die etwa 100 Besucher werden diesen Montagabend in guter Erinnerung behalten. Denn der blinde Musiker Raul Midón, der kurz nach 21 Uhr auf die Bühne kam, gab ein Jazzkonzert, ein Soulkonzert, ein Singer/Songwriter-konzert und dazu Musikunterricht gratis.
Nachdem er von seinem Assistenten auf die Bühne geführt wurde, stand er allein auf weiter Flur. Aber gefühlt war die Bühne knapp eineinhalb Stunden voller Virtuosen. Mit einem Stück vom Album „State Of Mind“ eröffnete der wie ein bescheidener Straßenmusiker gekleidete Künstler seine Show, die bewies, dass Kunst von Können kommt.
Midón kann Songs schreiben, singen und spielen, vor allem viele Instrumente gleichzeitig spielen. Mal slapt er die Akustikgitarre funky wie einen elektrischen Bass, mal scattet er und erinnert an Al Jarreau. Dazwischen moderiert Midón kleine Anekdoten: die (Tonband-) Kassette als Medium wird thematisiert wie seine Vorliebe für jamaikanischen Rocksteady. So habe er für sein kommendes Album, das in diesem Jahr oder Anfang 2013 erscheinen werde, einen Reggaesong aufnehmen wollen. Erzählt er und spielt dazu auf seiner Klampfe einen Offbeat, der präzise wie ein Schweizer Uhrwerk arbeitet. Dazu habe er solange geübt, bis er alles gleichzeitig spielen konnte: die Basslinie im Offbeat, die Akkorde – wohlgemerkt alles parallel an einer Akustikgitarre und der Gesang musste ja auch noch mit.
Raul Midón lenkte geschickt das Interesse auf seine noch nicht veröffentlichte Platte, denn er stellte viel neues Material im „Nachtleben“ vor. Als Single kündigte er „Don’t Hesitate“ an: die Frankfurt-Premiere dieses potenziellen Hits gipfelte in einem nicht enden wollenden ‚Call and Response’ mit dem Publikum, wie es Frankie Beverly von Maze mit der berühmten Live-Version von „Joy And Pain“ vorexerziert hat. Midón stellte zudem ein gemeinsames Projekt vor, das er mit Richard Bona erarbeitet hat.
In Berlin hätte es bei der Erwähnung des Jazzbassisten, der in New York lehrt, sofort Szenenapplaus gegeben. Immerhin klatschte das hessische Publikum, als Midón kurz darauf mit Lizz Wright eine weitere musikalische Weggefährtin ins Spiel brachte. Nach einer Stunde und 20 Minuten ließ sich Midón noch zu einer Zugabe hinreißen. Das mag wenig erscheinen, war es aber nicht. Denn sein Ein-Mann-Orchester hat sich an diesem Montagabend im März 2012 die Finger wundgespielt für ein musikkundiges Publikum in Frankfurt.
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