Bereits erwähnt in der Top-Ten-Liste von 2012, gilt es jetzt jedoch das Album „Perfectly Imperfect“ genauer vorzustellen. Denn das Album enthält einige der besten Songs, die ein R&B-Debütalbum seit langem hatte. Die Amerikanerin Elle Varner zeichnet sich durch einen absolut sympathischen Charme aus. Sie wirkt tollpatschig, unkonventionell und irgendwie auch schüchtern. Und vor allem zu letzterem gibt es eigentlich keinen Grund, die Musikerin strotzt nur so vor Talent und Schönheit. Wie kaum einem anderen Interpreten gelingt es ihr ehrliche und direkte Texte zu formulieren und diese auch mit der richtigen Portion Emotion zu übertragen. Man nimmt ihr diese eben ab, obwohl Elle Varner in keinster Art und Weise so aussähe als müsse man mit ihr Mitleid haben. In ihren Liedern gibt sie sich nicht zu cool, und genauso wenig zu pathetisch oder theatralisch. Sie findet die perfekte Balance an Imperfektheiten.
Elle Varner just doesn’t care
Ihre Unsicherheiten offenbaren sich mit jeder Textzeile, aber genau das macht diese Singer-Songwriterin aus, es ist ihr schlicht egal, wie sie bspw. auf dem Song „I Don’t Care“ verlauten lässt. Wenn eine Elle Varner mal verschossen ist, dann richtig: Kompromisslos und ohne zurückzuschauen gibt sich die Protagonistin des eben genannten Tracks ihrer Vernarrtheit hin. Direkt im Anschluss folgt die wirklich herzzerreißend komponierte Nummer „Not Tonight“. Selten schafft es ein Künstler im R&B so aufrichtig und offen über den Schmerz zu singen, den man verspürt genau diesen wenn sie davon berichtet dass es einem einfach nicht gelingt seinen inneren Schweinehund zu überwinden und sich einer Person auf einer tieferen und persönlichen Ebene zu öffnen. Diese Songs sind auch die Stärken von Frau Varner. Eindrucksvoll hat sie das auch auf der Single „Refill“ zur Schau gestellt. Der Song welcher auch für einen Grammy als bester R&B-Song nominiert wurde, verbindet Elemente der Countrymusik mit treibenden Hip-Hop-Bässen, glasiert mit ihrer kratzig-warmen Stimme. Der Mid-Tempo-Track bedient sich einer süßen Metapher. Varner hätte gern Nachschlag. Das hier nicht von einem Drink die Rede ist, erklärt sich von selbst.
Zwischen fragiler Songwriterin und Popdiva
Obwohl sich ihr Charme durch wirklich alle elf Tracks zieht und tatsächlich alle Lieder ziemlich beindruckend sind, überzeugt Elle auf den Up-Tempo-Songs nicht ganz so sehr. Die Ausnahme ist der eingängige Hip-Hop-Song „Only Wanna Give It To You“. Aber ein Popsong wie „Oh What A Night“, klingt ehrlich gesagt wie ein Natasha-Bedingfield-Leftover und hat auf diesem wirklich fantastisch gelungenen Erstwerk kaum etwas zu suchen. Textlich zwar sehr interessant ist die Nummer „Sound Proof Room“ auch eher gewöhnungsbedürftig. Denn isoliert klingt ihre Stimme wirklich schön, aber wenn so hektisch so viele Stimmen auf einer pseudo-eingängigen Pophook übereinander gestapelt werden, kann das auch anstrengen. Aber am Ende ist der Sängerin wieder verziehen, denn der Schlusssong „So Fly“ lässt einen wieder mit Elle mitfühlen. Man verspürt ihre Sorgen, ihren Kampf und versteht ihren Witz und ihre Selbstironie. Und dann kann man auch einsehen, dass sie sich auf ihrem ersten Album schließlich vielseitig präsentieren muss. Sei es noch so schön sich auf jedem Song melancholisch und zerbrechlich den Schmerz von der Seele zu singen.
Künstler: Elle Varner | Album: Perfectly Imperfect| Label: RCA Records| VÖ: 10. April 2012
Kommentar hinterlassen