Diese Woche ging es im Fernsehen wieder los mit dem „Eurovision Song Contest“ – nun ja, noch nicht mit dem Wettbewerb selbst, aber mit der Castingshow „Unser Star für Baku“. Über eine ganze Reihe von Sendeterminen wird im Fernsehen wieder ein Talent gesucht, das Deutschland beim Eurovision Song Contest vertreten soll.
Mit Blick auf die beiden letzten Jahre ist diese Show-Reihe eine echte Bereicherung für das deutsche Fernsehen und ganz besonders für das Genre TV-Castings. Manche Casting-Formate im deutschen Fernsehen stehen nicht nur wegen ihres musikalischen Niveaus in der Kritik, sondern auch wegen des Umgangs mit den Kandidaten – auf der Showbühne und im vertraglichen Bereich. Aber was ist das gegenüber einer bunten Show zur besten Sendezeit, die Vorspiel ist für einen Gesangswettbewerb in einer Diktatur ohne Pressefreiheit?
Man kann darüber streiten, ob Länder wie Deutschland dieses Mal nicht lieber aussetzen sollten. Vielleicht wäre es besser, auf diese Weise ein Zeichen zu setzen. Andererseits ist es gut, wenn Aserbaidschan damit zum Thema wird. Das ist schließlich eine Chance, die Schattenseiten zu beleuchten.
Die Organisation Reporter ohne Grenzen erinnert anlässlich des Starts der Show „Unser Star für Baku“ an fehlende Pressefreiheit in Aserbaidschan. In einem Pressetext von Mitte der Woche heißt es:
>>Zum Start der Eurovision-Castingshow ‚Unser Star für Baku‘ am 12. Januar erinnert Reporter ohne Grenzen (ROG) an die schwierigen Bedingungen, unter denen Journalisten in Aserbaidschan arbeiten. „Der Eurovision-Song-Contest darf nicht ausblenden, dass in Aserbaidschan ein Klima der Angst und Repression herrscht“, so ROG-Vorstandssprecher Michael Rediske, „nur eine Handvoll Journalisten und Blogger wagt es, sich gegen das Regime zu stellen.“
Aserbaidschanische Medien werden größtenteils vom Staat kontrolliert – allen voran das Fernsehen, für viele die wichtigste Informationsquelle. Ausländische Rundfunksender wie BBC und Radio Free Europe kann die Bevölkerung schon seit 2009 nicht mehr im Radio empfangen.
Deshalb sind in den vergangenen Jahren zahlreiche regimekritische Blogs entstanden. Im Frühjahr 2011 verabredeten sich die Menschen über soziale Netzwerke wie Facebook zu Demonstrationen gegen Diktator Ilcham Alijew.
Während der Proteste hinderte die Polizei Journalisten immer wieder daran, mit den Demonstranten in Kontakt zu kommen. Reporter wurden verhaftet, Ausrüstung zerstört und Material beschlagnahmt.
Das Internet steht seither im besonderen Fokus der Behörden. So wurde der 29-jährige Blogger Bachtijar Hajijew, der über Facebook zu Demonstrationen aufgerufen hatte, im Mai zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe verurteilt und sitzt seither in Haft. Zudem plant die Regierung neue Gesetze, um Internetmedien stärker zu kontrollieren.
Dass der regierungskritische Reporter Ejnulla Fatullajew im Mai nach vierjähriger Haft vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen wurde, wertet ROG nicht als Zeichen der Entspannung. „Mit der Freilassung einzelner Gefangener versucht das Regime ganz offensichtlich, dem Druck aus dem Ausland zu begegnen“, so ROG-Vorstandssprecher Rediske.
Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hatte schon im April 2010 von Aserbaidschan verlangt, Fatullajew freizulassen. Das Regime hatte sich jedoch über das Urteil hinweggesetzt. Erst wenige Tage nach dem Sieg Aserbaidschans beim Eurovision Song Contest begnadigte Präsident Alijew den Reporter.
ROG fordert das aserbaidschanische Regime auf, Journalisten nicht länger unter Druck zu setzen oder mit juristischer Verfolgung zu bedrohen, Gewaltverbrechen gegen Medienschaffende aufzuklären und den inhaftierten Blogger freizulassen.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit führt ROG Aserbaidschan auf Platz 152 und damit hinter Ländern wie Irak oder Afghanistan.<<
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