Brandy – Human

Kein Zweifel, Brandy ist immer noch mit einer der besten Stimmen für populäre Black Music gesegnet. Schon beim ersten Anhören wird deutlich, dass die Sängerin stilistisch auf ihrem Kurs geblieben ist, den sie 1998 mit ihrem zweiten Longplayer „Never Say Never“ eingeschlagen hatte.

„Human“ hat einen modernen, insgesamt leicht unterkühlten, weitgehend synthetischen Sound. So modern, wie das in den 90ern war, wirkt das heute nicht mehr. Ihr großes Produzententeam, welches neben dem Star selbst Rodney Jerkins, Brandon Creed, Brian Gardner, Erik Madrid, Bruno Mars, Midi Mafia, Jordan Omley, Chris Plata, Dapo Torimiro, Soundz, Toby Gad, Paul Foley, Mike Donaldson, James Fauntleroy, Hit-Boy, LaShawn Daniels, Brian Kennedy, D’Mile, RedOne, und Chase N. Cashe umfasst, ist natürlich nicht kollektiv auf dem damaligen Stand der musikalischen Entwicklung stehengeblieben.

Doch im Großen und Ganzen ist „Human“ längst nicht so trendorientiert wie „I Am…Sasha Fierce“ von Beyoncé oder „Good Girl Gone Bad (Reloaded)“ von Rihanna, um zwei Black Music Stars zu nennen, mit denen Brandy oft verglichen wird. Das ist per se kein Nachteil. Qualitätsmusik und Kunst müssen sich von Trends nicht treiben lassen, doch falls man es auf die Spitzenplätze der Charts abgesehen hat, auf die Pop Charts noch mehr als auf die Black Music Charts, sollte man es sich gut überlegen, worauf man verzichtet und was die Zielgruppe derzeit von einem erwartet.

Anders zu sein, wäre noch nicht falsch, aber ein Stück weit wie von gestern zu klingen, ist sicher keine Erfolgsformel für die Hitparaden. Angestaubt klingt „Human“ nun nicht, doch es fehlt der gewisse Biss, den beispielsweise die Pussycat Dolls auf „Doll Domination“ oder Shontelle auf ihrem „Shontelligence“ zu Gehör gebracht haben. Beyoncé hat ihn auf „I Am…Sasha Fierce“ ebenfalls. Was Brandy auf ihrem neuen Album ebenfalls fehlt, dabei hat das Eine mit dem Anderen etwas zu tun, sind Tracks mit Schmiss, Partykracher, wenn man so will.

Einige Songs auf der Tracklist von „Human“ haben durchaus Schwung, das ganze Album kann einen guten Flow für sich beanspruchen, sie passen in der vorgegebenen Reihenfolge sogar schön zusammen. Worunter der Nachfolger von „Afrodisiac“ leidet ist ein Zuviel an Harmonie und Kuschelsound, es ist zu flauschig. Das ist kein Problem der einzelnen Lieder auf „Human“, für sich angehört stört das nicht. Die Kunstform des Albums hat möglicherweise eh in Zeiten von Download-Musik und des „Long Tail“ keine Zukunft, weil jeder nur die Songs kaufen muss, die ihm wirklich gefallen.

Um einen Vergleich zu bringen: Ich bin ein Fan von Coffeeshops, ich mag all die Kaffeegetränke, die zu einem Großteil aus heißer, zum Teil aufgeschäumter Milch und Milchschaum bestehen, doch zwischendurch brauche ich wieder einen starken schwarzen Kaffee. Ohne Sirup, ohne Schaum, dafür mit kräftigem Kaffeegeschmack. Caramel Cappuccino ist super, aber jeden Tag würde ich ihn nicht trinken wollen.

Vor dem Hintergrund der Ereignisse im Privatleben der Sängerin, vor allem dem Autounfall, bei dem ein anderer Mensch sein Leben verlor, erscheint der sehr harmonische Sound von „Human“ gut erklärbar. Besonders der Text des Titeltracks scheint darauf Bezug zu nehmen. Die Lyrics stehen zweifellos auf der Habenseite den neuen Brandy-Albums, es sei ihr bisher persönlichstes Album, sagt die Künstlerin; sie als reife bzw. gereifte Sängerin zu bezeichnen, wie es einige Musikkritiker getan haben, passt.

Mit 29 Jahren ein fünftes Album zu veröffentlichen, ist eine Sache. Brandy veröffentlichte ihr Debütalbum allerdings schon 1994. Und es ist unerreicht. Seit ihrem zweiten Album packt mich jedesmal die Enttäuschung, dass sie ihr besonderes Talent nicht für einen erdigeren, raueren und gewissermaßen nachhaltigeren Sound nutzt. Von „Brandy“ über „Never Say Never“, „Full Moon“, „Afrodisiac“ und jetzt zu „Human“ gibt es eine Entwicklung, die nicht nur Freude bereitet.

Durch den zu oft weichgespülten Soundteppich hört man ihre große Stimme zwar durch, doch im Gegensatz zu vielen Stars, die nur dank moderner Soundtricks annehmbar klingen, hat Brandy eine unglaubliche Stimme.

Dennoch: Bei aller Kritik zwischen dem, was sie leisten könnte und dem, was am Ende in der Arbeit mit Rodney Jerkins und den anderen Produzenten dabei herausgekommen ist – dieses Missverhältnis hat mich auch bei „808s & Hearbreak“ von Kanye West besonders frustriert – hat Brandy nach all den Jahren seit ihrem vorigen Longplayer ein gelungenes Album aufgenommen. Nicht nur den Brandy-Fans, die so lange auf  neues Material ihres Stars warten mussten, sondern generell denjenigen, die eingängigen Soul-Pop mögen, sei „Human“ empfohlen.

Künstler: Brandy | Album: Human | Label: Epic / Sony BMG | VÖ: 27. März 2009 | Album des Monats: April 2009

Über Oliver Springer 339 Artikel
Oliver Springer gehört neben Jörg Wachsmuth zu den Gründern von rap2soul. Er lernte Hörfunk ab 1994 bei JAM FM und moderierte dort fast 12 Jahre. Später war der ausgebildete PR-Berater er als Pro-Blogger tätig. Gemeinsam mit Wachsmuth entwickelte Springer den Digitalradiosender PELI ONE - Dein neues Urban Music Radio, bei dem er seit 2018 den Nachmittag in der Drive Time moderiert.

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