R. Kelly Prozess: Videoexperte der Staatsanwaltschaft sorgt für Chaos

10. Juni 2008
Heute verhandelten Staatsanwaltschaft und Rechtsanwälte über die Frage, wo die Jury während der gemeinsamen Beratung zur Urteilsfindung das Video ansehen könne. Die Staatsanwaltschaft bestand darauf, dass die Jury das Video im Jury-Beratungszimmer ansehen solle, die Rechtsanwälte von R. Kelly stellten den Antrag, dass die Jury das Video während der Beratungsphase im Gerichtssaal ansehen solle.

Richter Gaughan entsprach, fast schon wie erwartet, wieder einmal dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Heute ging das Gericht in die sogenannte Widerlegungsphase, während der die Staatsanwaltschaft, und nur die Staatsanwaltschaft, Zeugen erneut vorladen kann, um die Zeugen der Verteidigung, die letzte Woche aussagten, widerlegen zu können.

Als erster Zeuge wurde der Staatsanwalt aus Atlanta, Georgia Bobby Wolf, gehört, der die Anklage gegen den Verlobten Yul Brown der Hauptzeugin Lisa van Allan in der Strafsache wegen Drogen- und Waffenbesitz vertreten hatte. Dieser sagte aus, dass er von keiner Vereinbarung zugunsten Browns wisse, das er aber mindestens drei Jahre Haft gefordert hatte.

Einzig und allein die Richterin in Atlanta hat auf Bewährung für Brown erkannt, inwieweit diese Richterin Vereinbarungen mit der Staatsanwältin Boliker getroffen habe, könne er nicht sagen.

Leider wurde die Richterin aus Atlanta nicht geladen, um Licht in die Sache zu bringen, denn Rechtsexperten sind sich einig, dass es für einen Vorbestraften wie Brown nahezu unmöglich ist, bei so schweren Straftaten wie Drogen- und Waffenbesitz mit Bewährung davon zu kommen.

Danach wurde der Videoexperte der Staatsanwaltschaft, Fredericks, erneut in den Zeugenstand gerufen, um die Expertise des Dr. Palm zu widerlegen. Nach vielen bereits gehörten Argumenten musste Fredericks zugeben, dass die entscheidende Sequenz des Videos, in der der Rücken des Mannes zu sehen ist, in Echtzeit lediglich eine viertel Sekunde lang ist. Diese Sequenz, von ihm bearbeitet mittels Kontrastverstärkung, Helligkeit und Filter, ist das Schlüsselargument der Anklage.

Bei erneuter Vorführung war der betreffende Punkt wieder wechselweise zu sehen und nicht zu sehen, außerdem war der Punkt an verschiedenen Teilen des Rückens sichtbar. Fredericks musste dann einräumen, dass kein Video ein korrektes Abbild der Wirklichkeit wiedergibt, dass durch die Aufnahmetechnik jede einzelne Bildsequenz durch das Aufnahmegerät interpoliert wird. Das heißt, da immer nur die jeweils geraden und dann die ungeraden Bildlinien erscheinen, fügt der Rekorder beim Abspielen Daten hinzu, die er aus Mittelwerten errechnet.

Das hört sich alles sehr kompliziert an, ist es auch, sollen doch Jurymitglieder, also Menschen ohne wirkliches technisches Know-how, über ein Leben entscheiden auf Basis von kaum nachzuvollziehenden Expertisen und Gegenexpertisen.

Aber wartet, es wird noch viel komplizierter: Die Staatsanwaltschaft hatte vor einigen Tagen eine Erklärung verlesen, in der der Jury mitgeteilt wurde, dass der Experte der Rechtsanwälte, Dr. Palm, eine DVD als Kopie des Videos erhalten hat, die der Experte der Staatsanwaltschaft, Fredericks, angefertigt hätte mit der Kennung „Peoples Exzibit Nr. 78“.

Heute erklärte Fredericks nun, von dieser Erklärung nichts zu wissen und darüber auch nicht mit der Staatsanwaltschaft gesprochen zu haben. Das versetzte den Richter, die Staatsanwaltschaft und alle Anwesenden in größte Verwirrung, da ja der Experte der Verteidigung seine Beweisführung auf eben dieser DVD aufgebaut hatte und ihm von Seiten der Staatsanwaltschaft vorgeworfen wurde, seine Beweisführung mit reduzierten Daten erarbeitet zu haben.

Leider war die Jury wie so oft von dieser Sensation ausgeschlossen und bekam deshalb nicht mit, wie wackelig die Beweise sind, die die Staatsanwaltschaft präsentiert. Die DVD mit den reduzierten Daten war Palm aber als Original ohne Reduzierung (laut Erklärung der Staatsanwaltschaft) geliefert worden.

Wenn Ihr nicht mehr folgen könnt – kein Problem, das konnte heute niemand, auch der Richter nicht.

Daraufhin wurde endlos im Richterzimmer beraten, der Richter fuhr die Staatsanwältin an, sie solle aufhören zu grinsen, wenn sie schon solches Chaos anrichtet, die Rechtsanwälte und die Staatsanwaltschaft sollten das gefälligst bis nach der Mittagspause geklärt haben.

Nach der Mittagspause war nichts geklärt, erneute Beratung von Richter, Anwälten und Staatsanwaltschaft im Richterzimmer, das Wort von „Mistrial“ als Verfahrensfehler und deswegen Einstellung des Verfahrens machte die Runde.

Nach der Beratung, die über eine Stunde dauerte, wurde die offensichtlich falsche Erklärung der Staatsanwaltschaft bezüglich des Videos für Dr. Palm einfach nicht mehr erwähnt. Stattdessen versuchten Richter und die Staatsanwaltschaft alle Erklärungen, Beweisfotos etc. anhand der durchlaufenden Nummerierungen („Peoples Exzibit“ 1 bis 78 zu überprüfen und eventuell neu zu nummerieren.

Ob die Anwälte auf Verfahrensfehler plädieren, ist nicht bekannt. Morgen werden sie mit den Nummerierungen der Akten und Beweise fortfahren, die Jury hat frei.

Für Donnerstag werden nach wie vor die Schlussplädoyers erwartet.

Live aus Chicago
in der Hoffnung, bald Licht ins Dunkel zu bringen, Beate Dyballa