Nach langen Jahren der Abwesenheit ist Stevie Wonder endlich wieder in Deutschland gewesen. Zwar für nur drei Konzerte, aber wer in Köln, Mannheim und München dabei war, hat einen unvergesslichen Abend erlebt. Da kein Konzert in Berlin angesetzt wurde, ging es also ins Ländle; nach Baden-Württemberg. Aber für Stevie Wonder kann man schon mal die fast eintausend Kilometer auf sich nehmen.Schon von weitem leuchtete die SAP-Arena in blau; und freundliche Ordner wiesen den Weg zu kostenlosen Parkplätzen, die zahlreich vorhanden waren. Veranstalter in Berlin, Frankfurt und Leipzig sollten „tief im (Süd-)Westen“ diesbezüglich mal Nachhilfe nehmen…
Die riesige Arena war gut gefüllt, nur wenige freie Plätze blieben übrig. Um punkt halb neun wurde die lebende Legende von einer Background-Sängerin auf die Bühne geführt. Stevie entschuldigte sich, dass er nicht punkt 20.00 Uhr begonnen hatte. Und blies zum Auftakt in die Harmonika. Es war der Öffner für eine Greatest-Hits-Konserve: viele der – ja, denn das sind sie durchaus – Evergreens des Sängers, Songschreibers und Pianisten waren zu hören. Natürlich „Master Blaster (Jammin’), „All I Do“, „Don’t You Worry ’bout A Thing“ – insgesamt 23 Stücke standen auf der Playlist. Der Meister und sein Hohner Clavinet D 6 waren natürlich im Mittelpunkt platziert, um ihn herum eine Armada aus Perkussion, Keyboards, Schießbuden, Bass- und Leadgitarren sowie Bläsern und Sängerinnen.
Das Multitalent (diesen Begriff kann eigentlich kein Reporter mehr guten Gewissens verwenden, seitdem Karsten Speck so genannt wurde – aber Wonder ist nun mal eins) erwies sich über 150 Minuten als geschickter Dramaturg und Regisseur. Er testete die gesanglichen Qualitäten und ließ zwei Männer aus dem Publikum vorsingen: die beiden Afroamerikaner schlugen sich wacker am Fuße des Throns und ersparten den Deutschen die Blamage, denn beide hatten vermutlich im Chor der army Schlacht-Erfahrungen gesammelt. Deutschland kam nicht um seine Leitkultur herum, denn der 57-Jährige baute Liedgut wie „Muss i’ denn“ und „O Tannebaum“ in den Musikfluss ein. Zudem erinnerte er an Roger Troutman und jagte seine Stimme durch den Vocoder.
Dass der Mann aus Michigan nachdenkt, wissen wir natürlich seit langem aufgrund der politischen und sozialen Sujets, die er in seinen Texten thematisiert. Deshalb wunderte es niemanden, dass ihm nicht entgangen ist, dass im Juni im Gastgeberland mehr als hunderttausend Menschen Barack Obama an der Siegessäule in Berlin bejubelten. Es ist nur logisch, dass Wonder ein eindeutiges Statement zur Wahl des demokratischen US-Präsidentschaftsbewerbers im November abgab.
Ergriffenheit beherrschte tausende in der Arena, als der begnadete Performer sein Herz ausschüttete: der 31. Mai 2006 sei der schlimmste Tag seines Lebens gewesen. Seine Mutter sei gestorben, doch sie habe ihn angerufen und ihn wissen lassen, dass es ihr gut ginge. Traum oder Glaube? Wonder ließ es offen…
Gegen Ende der Show wurde der Sound besser und der Backgroundgesang, der am Anfang etwas unterging, stach heraus wie die grandios gespielte Trompete der zweiköpfigen Bläsersektion. Und als der Meister sein Schlusspotpourri aus „Sir Duke“ und „Superstition“ anstimmte, hielt es niemand mehr auf den Sitzen der Halle, in der sonst die Adler Mannheim dem Puck hinterjagen. In dieser Salve feuerte Wonder auch seinen vergleichsweise seichten Pop-Hit „I just call to say I love you“ ab, der viel mehr Funkiness hatte als die zu oft gedudelte Version in den Formatradios dieser Welt. Ohne Zugabe, aber mit tief empfundener Dankbarkeit auch für sein deutsches Publikum, verabschiedete sich die wonderbare Bühnenmannschaft nach zweieinhalb Stunden.
Stevie Wonder in Mannheim – das war Soul pur. Mit dem Auftritt entschuldigte sich der Mann (der ja nicht mehr arbeiten muss) angemessen dafür, dass er solange nicht in Deutschland war. Nach dem Konzert in München am 24. September fliegt er zurück in die Staaten; möglicherweise wieder für eine sehr lange Zeit. Aber wir sind in Mannheim dabei gewesen – und werden noch lange im „Wonderland“ sein…
Zum Autor:
Torsten Williamson-Fuchs ist ein Experte der Black Music und bereits früh als Redakteur zu rap2soul gekommen.Torsten schreibt CD-Kritiken für mehrere Magazine.
Als Moderator war er schon für JAM FM, Radio PSR und als Showhost bei MDR Sputnik tätig.
neeiiiiin! verpasst! das glaub ich ja wohl nicht!
p.s. roger troutman hat keinen vocoder benutzt, sondern eine talkbox. das hört sich ahnlich an, ist aber von der funktionsweise her recht abweichend.