Schon in den 90ern war R. Kelly einer der wichtigsten R&B-Künstler, mit seinem Mitte 2007 veröffentlichten „Double Up“ beweißt er nicht nur, dass sich daran im ersten Jahrzehnt des neuen Millenniums nichts geändert hat, sondern dehnt seinen Einfluss auf Hip-Hop aus.
Das ist nicht nur eine Frage der Gäste, die, von Keyshia Cole und Usher einmal abgesehen, aus dem Hip-Hop-Lager stammen: Swizz Beatz, Snoop Dogg, Nelly, Chamillionaire, T. I., Huey, Ludacris, Polow Da Don, T-Pain. Okay, T-Pain ist ein Ex-Rapper. Und dann gibt es da noch Kid Rock, der irgendwie gar nicht ins Line Up passt.
Nein, die Gäste sind es nicht, die R. Kellys Album zum Hip-Hop ziehen. Manch anderer Künstler verliert bei starker Präsenz von Gastkünstlern die eigene Linie, nicht aber R. Kelly, der sich die Feder beim Songschreiben kaum aus der Hand nehmen lässt und den allergrößten Teil des Werks selbst produziert hat. Nur für die erste Single, den Remix von „I’m A Flirt“, hat er die Produktion an Lil’ Ronnie abgeben und bei „Ringtone“ Polow Da Don die Produktion überlassen. The Runners, Khao sowie Mysto & Pizzi werden nur als Co-Produzenten geführt.
Die Ursache für die Orientierung zum Hip-Hop liegt bei R. Kelly selbst. Aus der gemeinsamen Arbeit mit Jay-Z für „Best Of Both Worlds“ und „Unfinished Business“ scheint R. Kelly mehr als nur Streit und Ärger mitgenommen zu haben. Als kommerziell erfolgreicher Produzent, der nicht nur für sich selbst und seine Kunst lebt, sondern auch das Biz kennt, mag das ein logischer Schritt gewesen sein, um weiter Spitzenplätze in den Charts zu erreichen.
Inwieweit er damit alle alten Fans begeistert, steht auf einem anderen Blatt. Man sollte jedoch nicht übersehen, dass für R&B-Fans dennoch einige sehr schöne Songs zu finden sind. Was als Single ausgekoppelt wird und was es sonst noch auf einem Longplayer gibt, kann selten als repräsentativ für den jeweils anderen Teil gelten.
Eines ist jedoch schon seit einigen Jahren zu beobachten: R: Kelly hat seinen Sound weg vom flauschig kuschligen R&B hin zu einem weniger weichgespülten, weniger Pop-orientierten Stil entwickelt. Seine Lieder stattet R. Kelly mit mehr Leidenschaft aus, singt sie mit kräftigerer Stimme. In dieser Richtung hat er für „Double Up“ wieder einen Schritt weiter getan.
Ob sich R. Kelly mit seinen inzwischen 40 Jahren nun auch noch in Hip-Hop-Kleidung auf dem Cover präsentieren müsse, ist eine Frage, die ihm niemand anderes beantworten sollte. Zumindest sollten sich Musikkritiker nicht als selbsternannte Modepolizisten dazu hinreißen lassen, einem Mann zu erklären, dass er dafür zu alt sei.
Mit Blick auf die Texte fragt man sich (nicht erst bei diesem Album) zeitweise schon: Auf welchem Planeten lebt R. Kelly eigentlich? Seinen Song „Sex Planet“ könnte man da glatt als Antwort auffassen. „The Zoo“ schließlich dürfte sogar diejenigen überraschen, die einige seiner Alben im Regal haben. R. Kelly als „Sexasaurus“ im Dschungel. Und sein Regenwald-Vergleich ist so an den Haaren herbeigezogen…
Dabei geht’s doch soviel besser! Im Team mit Usher erzählt er zwar keine wirklich neue Geschichte (Zwei Männer finden heraus, dass sie sich unwissentlich in dieselbe Frau verliebt haben, die sie an der Nase herumführt.), doch die beiden erzählen die Geschichte so anschaulich und überzeugend, dass sie frisch und neu wirkt.
Sein Meisterstück auf „Double Up“ und einer der besten Tracks, die er jemals aufgenommen hat, ist „Real Talk“, bei dem man nur ihn hört, wie er mit seiner Freundin ein Streitgespräch am Handy führt und sich gegen grundlose Eifersucht zur Wehr setzt und dabei immer wütender wird. Klartext wie diesen sollte er öfter reden.
Künstler: R. Kelly | Album: Double Up | Label: Jive | VÖ: 25. Mai 2007