Zwei Jahre können im schnelllebigen Musikgeschäft viele Änderungen bringen. Viel Neues kann sich entwickeln – muss sich aber nicht, wie „The Evolution“ von Ciara zeigt. Der Titel steht für ihre persönliche Entwicklung als Künstlerin und darüber hinaus für die Entwicklung von Musik, Tanz und Mode schlechthin.
Er ist schlecht gewählt, denn er hält sein Versprechen nicht. Wer ihr Debüt „Goodies“ mochte, wird ebenfalls „The Evolution“ mögen – außer sein eigener Musikgeschmack hat sich in der Zeit (anders) entwickelt. Davon ausgehend, dass „Goodies“ für ein erstes Album einer jungen Künstlerin ausgesprochen solide und ausgereift war, geht es völlig in Ordnung, dort weiter zu machen. Sicher hat Ciara sich seitdem nicht zurück, sondern nach vorne entwickelt, doch so groß ist der Unterschied zum ersten Album nun wirklich nicht, dass sie Entwicklung zum Thema und Titel des Nachfolgers machen sollte.
Ihr Profil geschärft hat Ciara mit „The Evolution“ ebenfalls nicht, vielmehr ist die Princess of Crunk’n’B auf die R&B-Mitte zugegangen. Der synthetische, moderne, recht komplexe Sound sowie Gesangs- und persönlicher Modestil erinnern an die späte Aaliyah. Gut vorstellbar, dass Aaliyah – wäre sie noch am Leben – sich heute in allen drei Bereichen so präsentieren würde. Mit Sicherheit ist dies kein schlechtes Vorbild, auch hat Ciara das Potenzial, sie zu beerben.
Fröhlich und schnell oder wenigstens rhythmusorientiert sind die meisten Songs auf „The Evolution“, sie passen weit besser zu einem sonnigen Frühlingstag als zu einem verregneten Herbstnachmittag. Für eine Künstlerin, die auch tänzerisch fit ist, passen die Tanzlust auslösenden Tracks ausgezeichnet. Das Beste an „The Evolution“ ist die aktivierende Wirkung, „The Evolution“ vertreibt Schläfrigkeit.
Für echte Evolution sollte Ciara nicht mit den „üblichen“ Top-Produzenten wie Dallas Austin, Jazze Pha, Lil Jon, Mr. Collipark, The Neptunes, Will.I.Am, Bryan Michael Cox und Rodney Jerkins arbeiten, sondern radikal neuen Talenten die Produktions-Regler überlassen. Ihr Team hat indes einen prima Job gemacht, die Mehrzahl der Lieder klingt frisch.
Insofern bietet sich ein Vergleich mit „Press Play“ von P. Diddy an, der in seinem Segment ebenfalls frisch, kraftvoll und voll auf der Höhe der Zeit gearbeitet hat. Für ein Album, das auf den Mainstream-Markt ausgerichtet ist und dessen Singles die Charts erobern sollen, steht „The Evolution“ recht weit vorne an der Innovationsspitze – haben wir R&B als Ganzes im Blick, wirkt der Fortschritt sehr viel bescheidener. „The Evolution Of Robin Thicke“ von Robin Thicke ist ein Album, zu dem die Evolution im Titel tatsächlich passt.
Das Highlight ihres zweiten Albums ist dann auch der „Go And Get Your Tickets Mix“ von „Promise“ mit R. Kelly, der diesen Song noch weit konservativer klingen lässt. „Promise“ war Ciaras bis dahin höchster Charteinstieg in die US Hot 100 (Platz 45) und erreichte schließlich Platz 11. In den Black Music Single Charts stand „Promise“ zwei Wochen an der Spitze.
Wenn Ciara nicht mehr die Princess of Crunk’n’B sein möchte, sollte sie sich weniger um Evolution Gedanken machen und die Weiterentwicklung von R&B anderen überlassen. Spannend wäre auch, wie sehr sie mit Missy Elliott und Timbaland den Aaliyah-Stil imitieren könnte. Ein Versuch wäre das wert.
Künstler: Ciara | Album: The Evolution | Label: LaFace Records | VÖ: 13. April 2007 | Album des Monats: Mai 2007