Album Nummer 10. Böse Zungen könnten behaupten, damit wäre bei früheren Alben schon alles gesagt gewesen, denn kennt man eines, kennt man…aber halt! Auch diejenigen, die bislang einen Mangel an Unterscheidbarkeit bei den Songs und Alben des Künstlers beklagt haben, werden zugeben: Bei Brian McKnight hat sich was getan!
Ob es am Wechsel von Motown zu Warner Bros. liegt, sei dahingestellt. Brian McKnight hat die Handbremse endlich abgestellt und den Weichspüler abgesetzt. Keine Bange, „Ten“ beinhaltet genügend Kuschel-Songs und gefühlvoll singt Brian McKnight allemal! Diesmal wirkt er sogar gefühlsechter, scheint er doch ein gutes Stück weiter aus sich heraus zu gehen als in den letzten Jahren. „Shoulda Been Lovin’ You“ zum Beispiel groovt dermaßen, dass es mich beim Schreiben kaum auf meinem Schreibsessel hält. Die Kraft kommt bei diesem Midtempo-Track nicht aus der Geschwindigkeit oder dem coolen Beat, sondern aus der Stimme, mit der der Künstler echten Soul transportiert.
Bei der Instrumentierung wurde bei „Ten“ weniger auf weiche Gitarren, dafür mehr auf synthetische, klare Klänge gesetzt. Kalt oder künstlich fühlt sich die Musik auf diesem Longplayer indes nicht an, dafür aber angenehm frisch oder sagen wir runderneuert. Das war nötig. Das ist gut.
Dabei geht der Künstler gerade so weit, dass er seine Fans nicht verschreckt. „Ten“ klingt unverkennbar nach Brian McKnight, nur weiterentwickelt – „Brian McKnight 2.0“ – wenn wir so wollen!
Ganz abgeschlossen hat er mit der Vergangenheit nicht, „More And More“ bringt die alten Stärken der Kombination aus sehr ruhiger Stimme und dezenter Begleitung zu Gehör. Im direkt darauf folgenden „Can’t Leave You Alone“ präsentiert Brian McKnight das andere Ende seines breiten Spektrums mit einem fast schon zu modernen Party Track, den das mehrfach mit Grammys bedachte Produzentenduo Tim & Rob verantwortet.
Neben der neuen Frische der einzelnen Lieder sorgt bei „Ten“ so auch deren Unterschiedlichkeit für einen guten Eindruck. So gesehen ist selbst ein Stück wie „The Rest Of My Life“, das auch gut auf „Superhero“ passen würde, ein Beitrag zur Vielfalt.
Für manche sicher einen Schritt zu weit wagt sich Brian McKnight mit „Red, White And Blue“ Nicht nur das überraschende Thema, auch die Zusammenarbeit mit der Country Pop-Band Rascal Flatts kommt unerwartet. Aus der Sicht eines Soldaten, der am nächsten Tag fern der Heimat kämpfen muss und am Vorabend der Frau, die zuhause auf ihn wartet, von seinen Gefühlen erzählt, entfaltet Brian McKnight zusammen mit den Rascal Flatts eindrücklich eine sehr simple Geschichte.
Sinngemäß heißt es im Refrain: Ich kämpfe für das, was richtig und wahr ist. Vor allem kämpfe ich, um zu Dir zurück zu kommen. Wir sehen kein Schwarz oder Weiß, wir sehen nicht, was wir zu tun haben. Alles, was wir sehen ist Rot, Weiß und Blau. Wir kämpfen für unser Rot, Weiß und Blau.
Auch nach zwei Dutzend Durchläufen im CD-Player bin ich noch hin und her gerissen, was ich davon halten soll. Wenn Musik zur Beschäftigung mit ihren Inhalten anregt, ist das schon mal gut. Die Sache ist nur, dass es gerade die unkritisch-patriotische Haltung des Songs ist, die mich nicht loslässt. Zu gern würde ich wissen, wie das Publikum auf eine deutsche Entsprechung reagieren würde. Ehrlich gesagt fällt mir kein deutscher Black Music-Künstler ein, der seine Fahne für Schwarz, Rot und Gold hissen würde, wie Brian McKnight er hier getan hat. Spannend wär’ das!
Musikalisch gesehen war es für mich ohne Frage ein guter Schritt, mit einem einzelnen Lied aus dem Muster des Albums auszubrechen, um mal zu zeigen, was er sonst noch kann. Die stärksten Tracks sind aber andere wie der als erste Single ausgekoppelte „Used To Be My Girl“.
Die Produzenten Tim & Bob sorgen für eine geradezu hypnotisch wirkende Begleitung des starken Textes, den Brian McKnight gekonnt umsetzt. Hier braucht es einen Profi, der die über die puren Worte hinausgehende Message auch glaubwürdig vermitteln kann.
In „Used To Be My Girl“ wendet sich Brian McKnight an den neuen Lover seiner Ex-Freundin, reibt ihm unter die Nase, dass sie früher mit ihm zusammen war. Er soll seine Zeit mit ihr ruhig genießen und sie stolz herumzeigen mit dem Wissen, dass jeder Mann sie gerne hätte. Was er jetzt denkt, wisse er genau, denn ihm wäre es genau so gegangen, als sie noch seine Freundin war.
Brian McKnight formuliert seine Ansprache als gut gemeinten Ratschlag, der jedoch als Spott gedacht ist. Wer genau hinhört, wird bemerken, wie er in seine Stimme Strophe für Strophe mehr Schmerz über den Verlust legt, um am Ende von Gefühlen überwältigt seine Sätze nicht mehr zu beenden – Desorientierung und Kurzatmigkeit haben noch nie so schön geklungen!
Spätestens hier wird offensichtlich, dass er sich nichts sehnlicher wünscht, als an der Stelle ihres neuen Freundes zu sein. Wenn er ihm rät, sich nichts daraus zu machen, wenn sie (wobei wohl!) seinen Namen ruft, offenbart er, wie er sich an diese Vorstellung klammert. Nimm sie, da hast Du sie, für mich macht das alles keinen Unterschied – Worte, die wohl niemand sagt, ohne das Gegenteil zu meinen.
FAZIT: Falls Zweifel bestanden haben, ob Brian McKnight noch zu den besten R&B-Künstlern gehört, sind die jetzt ausgeräumt. Der Albumtitel verleitet zwar dazu, dem Künstler im Überschwang der Begeisterung zehn von zehn Punkten für „Ten“ zu geben. Bleiben wir auf dem Teppich und bescheinigen Brian McKnight, dass er der Perfektion näher gekommen ist als die meisten anderen Künstler in 2006.
Künstler: Brian McKnight | Album: Ten | Label: Import (Megaphon Importservice) | VÖ: 28. November 2006