„It’s The Singer Not The Song“: Die hohe Kunst der Songveredlung gehört zum Jazz wie die Improvisation. Seit den Anfängen formten Instrumentalisten und Vokalisten Stücke nach ihrem eigenen Belieben. Und oft waren es populäre Songs und Melodien, die nach der Adaption in neuem Licht erstrahlten. „The Cover Art Of Blue Note Volume 2″ zeigt neue, aufregende Beispiele, wie große Jazzstimmen und -instrumentalisten Diamanten des Pop-Songwritings in funkelnde Jazz-Brillanten verwandeln.
Jazz und Pop: Welches Label könnte für dieses Aufeinandertreffen die bessere Adresse sein als Blue Note, das bei der Auswahl seiner Künstler nie der Lehre eines „reinen“ Jazz folgte. Es gibt viele Gründe, warum Blue Note eine Legende ist – die unverwechselbare Cover-Kunst, der exzellent aufbereitete Backkatalog, die vielen richtungsweisende Alben, die lange Liste der „Big Names“ des Jazz. Die stilistische Offenheit der Blue-Note-Künstler gehört mit Sicherheit auch dazu. Viele kreierten auch deshalb so spannende Musik, weil sie aus Soul, R&B und Gospel ihre kreative Kraft sogen oder sich von Musik aus aller Herren Länder inspirieren ließen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Das belegen die vielen erstklassigen Musiker, die das Label in den letzten zehn, fünfzehn Jahren unter Vertrag genommen hat. Von diesen sind auf „The Cover Art Of Blue Note Volume 2“ einige zu hören, Vokalistinnen und Instrumentalisten von Weltruhm wie Norah Jones, Cassandra Wilson, Dianne Reeves und Stanley Turrentine aber auch neue Singer-Songwriter-Talente wie Brisa Roché.
Wie bereits bei der ersten Ausgabe von „The Cover Art Of Blue Note“ wird auch Volume 2 von der derzeit erfolgreichsten Blue-Note-Künstlerin, der zehnfachen Grammy-Gewinnerin Norah Jones, eröffnet. Warum sie zu den populärsten Sängerinnen der Gegenwart gehört und Millionen Menschen verzaubert, verdeutlicht ihre intime und überaus sinnliche Interpretation von Bob Dylans entspanntem Country-Song „I’ll Be Your Baby Tonight“ aus seinem 1968 in Nashville eingespielten Album „John Wesley Harding“.
Elegante Song-Kunst auf höchstem Niveau bietet auch Holly Cole. Ganz gleich in welchem Stil sich die Kanadierin bewegt, ob Blues, Jazz, Country oder Pop, für alles hat sie das passende Ausdrucksmittel in den Stimmbändern. Ihre Musik garantiert wohlige Gänsehaut oder wie es ein Kritiker der FAZ einmal ausdrückte „Rachengold für die Ohren“. Ein Paradebeispiel für ihre eigenwillige Art, selbst vertrauten Songs eine unerwartete Seite abzuringen, ist die Verwandlung von Johnny Nashs sonnigem Reggae-Hit „I Can See Clearly Now“ in eine traumhaft schöne Ballade. Bekannt wurde Holly Cole in Europa Mitte der 90er Jahre durch ihr großartiges Tom-Waits-Tribut-Album „Temptation“, auf dem auch „Take Me Home“ zu finden war; wahrlich Balsam für die Seele.
Caecilie Norby schreibt nicht nur funkelnde Songs, die viel von der oft beschworenen skandinavischen Melancholie in sich tragen, die Dänin ist auch bekannt für virtuose Bearbeitungen reizvoller Vorlagen aus unterschiedlichen Genres. Flankiert von Jesper Nordenströms perlendem Piano und Xavier Desandra-Navarres prickelnder Perkussion verleiht sie Glen Campbells Oldie „Gentle On My Mind“ einen luftig leichten Brasil-Jazz-Anstrich. Erdig und durch und durch seelenvoll klingt ihre leidenschaftliche, grandios individualisierte Version eines Klassikers der Soul-Legende Curtis Mayfield, „Man.s Got Soul“.
Jackie Allen hat erst in diesem Jahr mit „Tangled“ ihr Blue-Note-Debüt veröffentlicht und sich damit in die Phalanx der wegweisenden Gesangskünstlerinnen des Labels eingereiht. Obwohl ihre Wurzeln im Jazz liegen, spürt sie doch seit ihrem ersten Album „Never Let Go“ (1994) den Gemeinsamkeiten von Pop und Jazz nach, was immer wieder zu besonders gelungenen Ergebnissen führt. So zelebriert sie Van Morrisons bewegendes „When Will I Ever Learn“ so inbrünstig als wäre es ein Gospelstück. „Do Wrong Shoes“ hingegen, eine Komposition von Donald Fagen (Steely Dan), der selbst eminent vom Jazz beeinflusst ist, inszeniert sie als lockeren Swing mit übermütigen Bläsersätzen.
Ähnlich selbstbewusst geht die in Chicago lebende Sängerin und Pianistin Patricia Barber mit Songs aus fremder Feder um, nachzuhören auf ihrer jenseitig schönen Adaption von „Norwegian Wood“ von den Beatles. Auf die Ecken und Kanten, mit denen sie sonst ihre raffinierten Coverversionen garniert, hat sie hier verzichtet.
Mit einem ganz anderen Habitus konfrontiert uns die in Paris lebende, allerdings aus Kalifornien stammende Brisa Roché. Ihr Blue-Note-Debüt „The Chase“ offenbart Einflüsse, die weit über den Jazz hinaus reichen und Rock, Pop, Blues, Country und Folk mit einbeziehen. Dass sie sich selbst in Chanson-Traditionen heimisch fühlt, unterstreicht ihre betörend feminine Interpretation von Adamos „Dans Le Vert Ses Yeux“.
Und noch jemand bewegt sich schon immer jenseits von Grenzen und Genres: Der kanadische Sänger und Songschreiber Marc Jordan. Pop-Künstler wie Cher, Joe Cocker, Kenny Loggins und Rod Stewart nahmen seine Kompositionen auf. Letzterem gelang 1992 mit Jordans „Rhythm Of My Heart“ sogar ein weltweiter Nummer-eins-Hit. Auf seinem Blue-Note-Debüt „This Is How Men Cry“ von 1999 lies er seiner wachsenden Begeisterung für Jazz freien Lauf, nachzuhören auf seiner bittersüßen Nightclub-Version von Elvis Costellos „Almost Blue“, die hier wahrlich ihrem Titel gerecht wird.
Jazz und Pop befruchten sich gegenseitig. Davon war auch Sting überzeugt als er nach dem Ende von The Police eine Band mit gestandenen Jazz-Akteuren (Brandford Marsalis, Kenny Kirkland, Darryl Jones, Omar Hakin) um sich scharte und zwei Alben („Dream Of The Blue Turtles“ und „Nothing But The Sun“) mit starken improvisatorischen Elementen aufnahm. Dies erklärt womöglich die außerordentliche Beliebtheit, die seine Kompositionen bei Jazzmusikern genießen. Dianne Reeves hat sich „Wrapped Around Your Finger“ ausgesucht. Begleitet unter anderen von Bob Belden und John Scofield, der hier ein brillantes Gitarrensolo beisteuert, demonstriert die vierfache Grammy-Preisträgerin mit einer brodelnden Version von Stings wohl ironischstem Song, dass sie ohne Zweifel eine der profiliertesten und mutigsten Jazzsängerinnen ihrer Generation ist.
Nicht minder beeindruckend ist der Auftritt der wunderbaren Cassandra Wilson, die mit ihrem dunklen, verhangenen Timbre Stings berührender Ballade .Fragile. eine fast narkotische Wirkung verleiht. Dass man Popsongs auch ganz ohne Worte für den Jazz in Besitz nehmen kann, verdeutlichen der Gitarrist Charlie Hunter, der Tenorsaxophonist Stanley Turrentine und Italiens beste Lounge-Band Montefiori Cocktail mit atemberaubenden Instrumentalversionen von Bob Marleys „No Woman No Cry“, Steve Millers „Fly Like An Eagle“, Stevie Wonders „Boogie On Reggae Woman“ und KT Tunstalls „Black Horse And The Cherry Tree“.
„The Cover Art Of Blue Note Volume 2“ spiegelt eine Vielzahl von Facetten des Jazz. Was indes allen Aufnahmen gemeinsam ist, sie zeigen aufs Schönste, wie aufregend, abwechslungsreich und sinnlich Jazz sein kann, wenn er von wahren Meistern gespielt und gesungen wird.
Künstler: Various Artists | Album: The Cover Art Of Blue Note Volume 2 | Label: Blue Note (EMI) | VÖ: 29. September 2006