Phil Perry, habe ich neulich gelesen, sei eines der am besten gehüteten Geheimnisse der Soulmusik. Andererseits ist er fast seit 40 Jahren im Musikgeschäft. Er ist wohl eher ein Underground-Künstler, der einen kleinen Kreis treuer Fans hat, vor allem im Bereich der Smooth Jazz-Hörer.
„Classic Love Songs“ kombiniert Soul und Jazz ein weiteres Mal, wobei der Unterschied dieses Mal darin besteht, dass „Classic Love Songs“ nur Coverversionen von Soulklassikern beinhaltet. Wer seine mal zarte, mal energisch-sanfte, hohe (Falsett-) Stimme schon seinen früheren sechs Alben (und seiner Arbeit mit den Montclairs) mochte, wird sehr wahrscheinlich auch mit „Classic Love Songs“ zufrieden sein. Ein wenig schade finde ich, dass er nicht noch ein oder zwei kräftige, schnelle Tracks integriert hat. Platz genug wäre gewesen!
Durch die Beschränkung auf ruhige Stücke bringt sich der Mann ohne Not um Airplay im Radio, liefert dafür aber eine CD, die vom ersten bis zum letzten Track beim nächsten Rendezvous durchspielen kann. „Classic Love Songs“ ist weniger ein Album zum Zuhören, sondern um auf einem Klangteppich schwebend zu träumen oder um noch etwas anderes zu tun, während die Musik im Hintergrund beruhigend plätschert. Sie lenkt um so weniger ab, als Soulfans alle oder wenigstens die meisten Tracks lange kennen.
Der entspannte Midtempo-Track „I Want You“, mit dem „Classic Love Songs“ beginnt, war im Original 1975 der Titeltrack von einem Marvin Gaye-Album. Phil Perry hat zwar nichts Besonderes aus diesem Stück gemacht, aber sehr solide Arbeit geleistet. Im Fall von Marvin Gaye hängt die Messlatte auch sehr hoch, gilt „I Want You“ vielen Fans doch als einer der besten romantischen Tracks. Ursprünglich sollte Leon Ware „I Want You“ singen, doch Marvin Gaye selbst und noch wichtiger Motown Boss Berry Gordy fanden damals, dass er einfach perfekt für Marvin wäre. Phil Perrys Version ist natürlich weit, weit relaxter, was dazu führen kann, dass man sich beim Hören ein wenig mehr Biss wünschen mag.
Auch der zweite Track – “Just My Imagination” – wurde zuerst auf Motown veröffentlicht. Im direkten Vergleich mit er 71er Version der Temptations, die damit zwei Wochen auf Platz 1 der amerikanischen Pop Charts waren, fällt auf, dass Phil Perry diesem Track eine ganz andere Stimmung verleiht: Viel heiterer, unbeschwerter klingt er, was für Smooth Jazz auch wieder typisch ist. Der Schwermut, den die Temptations mit ihrer zarten Version vermitteln, fehlt der neuen Version, was aber nicht heißt, dass mir bei Phil Perry etwas fehlen würde – allenfalls bei der Instrumentierung. Bei diesem wie beim nächsten Stück sollten wir nicht vergessen: Phil Perry ist Solokünstler, den Song einer ganzen Gruppe zu covern, ist dadurch noch ein Ende schwerer.
1968 hatten die Delfonics einen Hit mit „La-La Means I Love You“, den Phil Perry ausgesprochen schön, wenn auch nicht besonders einfallsreich, sondern (in seinem Stil) sehr konservativ umgesetzt hat (und der auch ein Stück heiterer und leichter als das Original klingt).
Der Funkeinfluss in „People Make The World Go Round“ tut dem Stylistics-Hit hier sehr gut, wobei die entspannte Stimmung, die der Song durch Phil Perry bekommt, zwar sehr kuschelig wirkt, aber den Inhalt längst nicht so gut unterstützt wie das Cover von Michael Jackson, der vor allem durch die Dramatik in seiner Stimme überzeugt.
Im Voher-nachher-Vergleich am spannendsten ist „Hello“, bei dem Phil Perry einen ganz anderen Weg als Lionel Richie gegangen ist, indem er den Jazzanteil hier besonders betont hat und sogar zu ein wenig zu scatten anfängt. Anschließend hält er sich bei einem der größten Hits der Chi-Lites, „Have You Seen Here“ eng an das Vorbild aus 1971.
Auch bei „I’ll Be Around“ greift Phil Perry die (zufriedene) Stimmung des Originals auf, wobei, wobei er einen vergessen lässt, wie viel Kraft das Original von den Spinners hat (die damit, obwohl bloß als B-Seite von „How Could I Let You Get Away“ veröffentlicht, ihren ersten großen Hit landeten). Was die Melodien angeht, holt Perry einiges mehr aus dem Song heraus.
Der 1983er DeBarge-Hit „All This Love“ mag manchem in Perrys Fassung gegen Ende zu sehr unruhig dahinplätschern und zu dem Schluss kommen lassen, wohl doch keinen Jazz zu mögen. Auch wenn Tha Mexakinz Mitte der 90er das Stück nicht für einen Soul-, sondern für einen Hip-Hop Track genutzt haben, gefällt mir einfach besser, was diese Band in „Problems“ daraus gemacht hat.
Bei „Hey There Lonely Girl“ bin ich froh, dass Phil Perry gar nicht erst versucht, mit Eddie Holman auf eine Tonhöhe zu kommen. Für Eddie Holman ist dieses Lied wohl das einzige mit großer Bekanntheit, doch immerhin hatte er damit einen Nummer 2 Hit, womit Phil Perry wohl für keinen seiner Songs rechnen kann. „Hey There Lonely Girl“ hat genau die richtige Zusammensetzung, um sich den Song immer wieder anhören zu können, er nutzt sich nicht schnell ab. Wer sich dieses Lied stimmlich etwas tiefer gelegt anhören möchte, dem empfehle ich die großartige Version von Will Downing. Interessant ist der Vergleich damit auch, weil Will Downing auch ein Künstler ist, der Soul und Smooth Jazz kombiniert.
Mit „You Make Me Feel Brand New“ sind wie ein zweites Mal beim Material der Stylistics. Der Abschlusstrack ist Phil Perry besonders gut gelungen, was auch daran liegt, dass er mit tieferer, entspannterer Stimme singt. Im direkten Vergleich mit dem 1974er Original kann das Cover gut bestehen, wenngleich die Stylistics als Gruppe ihre stimmliche Vielfalt gut ausspielen, während Phil Perry nur mit sich selbst im Background antritt.
FAZIT: Von einem Künstler zu erwarten, aus jedem guten Original ein noch besseres Cover zu machen, wäre einfach zu viel verlangt. Phil Perry hat seinen Job sehr gut gemacht, auch wenn ein wenig mehr Innovation dem Album gut zu Gehör gestanden hätte.
Künstler: Phil Perry | Album: Classic Love Songs | Label: Shanachie (Just records Babelsberg) | VÖ: 17. März 2006