Old School statt altmodisch! Das ist meine subjektive Wertung, denn obwohl „I Remember“ ein paar clevere Ideen hinsichtlich der Umsetzung bietet, wäre dieses Album schon vor ihrer rund zwölfjährigen Veröffentlichungspause vom Sound her nicht aktuell gewesen.
Es klingt zum Teil wie ein Tribut an den Soul einiger Größen aus den 60er und 70er Jahren mit den Mitteln der 80er. „Back Together Again“ mit Freddie Jackson (auch auf seinem „Personal Reflections“ enthalten) ist eine großartige Variante des Klassikers von Roberta Flack und Donnie Hathaway. Frisch umgesetzt, aber völlig unmodern – so hätte man das auch in den 80ern machen können. Und genau hier ist es eben eine Frage des Standpunktes, wie man die Bewertung vornimmt. „Besser spät als nie!“ sag ich mir, denn auch wenn ich mich über Innovationen freue, ist das kein Muss für ein interessantes Album. Handwerklich brillante Arbeit erfreut mich auch so.
Bei Meli’sa Morgans Interpretation von Aretha Franklins „Ain’t No Way“ gefällt mir die entspannte Klavierbegleitung, die so leichtfüßig wie bei Bar Jazz anmutet. Wenn die Künstlerin ihrer Stimme mehr Emotion verleihen möchte, konterkariert sie diesen Ansatz leider auf anstrengende Weise.
Überhaupt mutet sie ihrer Stimme an einigen Stellen des Albums mehr zu, als sie damit souverän bewältigen könnte. Das ist sehr schade, denn – auch das hört man gleich – sie kann nach wie vor richtig gut singen – ihre raue Stimme kann sie mit einer Menge Kraft erheben. Gut gelungen ist „I’m Your Sistah“, wo alles stimmt und rund klingt.
Auch bei dem ersten Gospelsong, den sie in ihrem Leben mitgeschrieben hat – „He’s The One“ – wird deutlich, wo ihre Grenzen liegen, die sie dabei aber gerade noch wahrt. Wem will Meli’sa Morgan damit etwas beweisen? Bei den ruhigen Stücken täte etwas Zurückhaltung auf jeden Fall gut – weniger Kraft, mehr Gefühl, das wäre besser.
Umso weniger Verständnis habe ich dafür, als es mit Tracks wie „Do You, Do You Want It?“ und „Will You?“ ausreichend Raum für volle Kraftentfaltung gibt, die Meli’sa Morgan dort auch sinnvoll einbringt.
Wie kraftvoll das Album als Ganzes gehalten ist, mag für viele eh eine Überraschung sein, tendieren gereifte Künstler ja meist dazu, ihre Alben weitgehend gemütlich zu halten. Meli’sa Morgan hat dagegen stark dort angeknüpft, wo sie vor vielen Jahren aufgehört hatte.
Zu klingen wie Meli’sa Morgan – authentische Musik zu machen, war ihr ganz besonders wichtig und ist ihr gelungen. Das auch tatsächlich tun zu dürfen, ist für Künstler oft weit schwieriger als vom persönlichen Können den Anschluss an den jeweils gefragten Stil zu schaffen.
Sie könne jedes Genre singen, meint Meli’sa Morgan dann auch selbstbewusst, doch was die großen Plattenfirmen im Moment für einen heißen Sound halten, müsse nicht auch die richtige Wahl für sie selbst sein. Mit dieser Einstellung war es nicht eben leichter, genügend Support für ein Comeback zu erhalten. Da ist es gut, dass sie Legenden wie Ashford & Simpson zu ihren Freunden zählen kann, die bei „I Remember“ mitgeholfen haben.
In einer Hinsicht sei es heute indes leichter: Heute könne sie über Dinge singen, wie das früher nicht möglich gewesen wäre – lebendiger und tiefgründiger. In den 80ern hätte sie mehr an der Oberfläche bleiben müssen bei ihren Songs.
FAZIT: Trotz ein paar Schwächen ist „I Remember“ ein interessantes Album für diejenigen, die ihren Soul lieber im Sound der 80er und frühen 90er mögen oder sich einfach mal erfrischen wollen, indem sie eine Pause von all dem machen, was sich im Genre in den letzten 10 Jahren getan hat. Gelungenes Comeback.
Künstler: Meli’sa Morgan | Album: I Remember | Label: Orpheus | VÖ: 8. November 2005