Sich auf die Wurzeln des Soul zu besinnen, kann kein Fehler sein. Die 60er und 70er Jahre waren einfach zu bedeutend für Black Music, als dass ein Blick zurück ein Rückschritt sein könnte. Dennoch hat es Joy Denalane ein wenig übertrieben.
Ein paar richtig moderne Titel hätten „Born & Raised“ gut getan, an dem Punkt bin ich ein wenig enttäuscht. Andererseits passen die 15 Tracks so besser zueinander, lässt sich die CD so besser vom ersten bist zum letzten Track durchhören. Abgestimmt auf einander sind sie dazu noch ausgesprochen gut.
Vorbereitet hatte Joy Denalane das Album gemeinsam mit ihrem Mann Max Herre, die Aufnahmen und die Produktion verlagerten die beiden Berliner Soul-Profis diesmal in die Soul-Heimat USA, noch dazu nach Philadelphia! Dort in „The Studio“ haben auch schon die Roots aufgenommen, und Philly, ja, da finden sich eben auch die passenden Philly-Sound-Musiker für einen Sound wie den nun präsentierten.
Sehr bodenständig, voller Wärme und in seiner Natürlichkeit einfach menschlich ist es genau der richtige Sound für diejenigen Soulfreunde, die die alten Zeiten wieder aufleben lassen wollen oder der Vergangenheit nachtrauern. Die wenigen modernen Elemente passen sich so perfekt ein, dass sie beim entspannten Musikgenuss nicht als modern erscheinen – dafür muss man schon genau darauf achten. Selbst Wu-Tang-Rapper Raekwon und Jay-Z’s Schützling Lupe Fiasco wirken da nicht kontrastierend, obwohl es zu der Zeit, aus der der Sound des Albums stammt, Hip-Hop noch gar nicht gegeben hat. Mein Kompliment an die Produzenten!
Das Modernste sind somit die Lyrics, denn die sind – soweit es gesellschaftliche oder politische Themen angeht – aus dem Hier und Heute. Musikalisch hingegen hat Joy Denalane für „Born & Raised“ sogar ihre eigene Vergangenheit zur Grundlage gemacht: „Im Ghetto von Soweto“ aus ihrer „Mamani“-CD aus 2002 wurde zu „Soweto ´76 – ´06“ und zum Startpunkt für das ganze Album.
Für eine Show in die USA eingeladen, übersetzte Joy Denalane gemeinsam mit Sékou Neblett vom Freundeskreis eine handvoll ihrer Lieder von „Mamani“ in die englische Sprache. Das lief so gut, dass sie mehr daraus machen wollten.
Inhaltlich und musikalisch anspruchsvoll ist ein sehr schöner Longplayer daraus geworden. Dennoch: Weniger Retro-Feeling, mehr Innovation – das hätte ich mir und dem Soul an sich gewünscht. Ein so starkes Team, wie Joy Denalane für „Born & Raised“ versammelt hatte, hätte – gerade auch mit Blick auf die alten Stärken – einen Schritt nach vorne gehen können.
Nachtrag: Hauptthema in den meisten Kritiken zu Joy Denalane’s Album, die ich gelesen habe, war ihre Wahl, diesmal nicht auf Deutsch, sondern auf Englisch zu singen. Sicher war ich nicht so naiv, zu glauben, dass das gar kein Thema sein würde, doch dass es solchen Raum einnimmt, finde ich schon schade. Zu sehr erinnert es mich an die Diskussion, ob Black Music überhaupt auf Deutsch funktionieren kann oder grundsätzlich peinlich wäre. Noch einige Jahre zuvor ging es um die Frage, ob nur Schwarze Black Music machen sollten. Gerade Joy Denalane hat mit ihren deutschsprachigen Soulstücken wohl viele Kritiker deutschsprachigen Souls überzeugt oder zumindest verstummen lassen. Ausgerechnet sie dafür zu schelten, Soul auf Englisch zu singen, finde ich absurd.
Künstler: Joy Denalane | Album: Born & Raised | Label: Smd Four M (Sony BMG) | VÖ: 11. August 2006