Wer seinen Glauben an Soul bereits verloren hat und Neo-Soul in etwa so spannend findet wie Tütensuppe, die man nur noch mit heißem Wasser aufgießen muss, gewinnt ihn eventuell mit Hilfe von „Ain’t Nobody Worryin’“ zurück. Echter Soul ist selten geworden, das macht dieses Album von Anthony Hamilton so wertvoll. Sicher gibt es fernab vom Mainstream eine ganze Menge Soul-Künstler, die aber so gut wie nie Airplay bekommen, die nie in die Charts kommen und von ihrer Musik auch nicht leben können.
Darin ist Anthony Hamilton anders: Er hat es in die (amerikanischen) Charts geschafft, obwohl er der Kunst treu geblieben ist. „Ain’t Nobody Worryin’“ ist sein zweiter Release auf einem Major Label. Der Vorgänger „Comin’ From Where I’m From“ erreichte Platin in den USA und wurde weltweit mehr als drei Millionen Mal gekauft, „Ain’t Nobody Worryin’“ ist aktuell (Stand März 2006) auch schon auf Goldstatus und beweist: Qualität lässt sich ja doch verkaufen!
Die Mischung auf „Ain’t Nobody Worryin’“ ist in sich ausgewogen, vor allem was unterschiedliche Tempi angeht: Bei „Preacher’s Daughter“, in dem Hamilton Prediger kritisiert, zu beschäftigt zu sein, um zu bemerken, was für ein Leben die eigene Tochter führt, hört man nicht nur, dass seine musikalischen Wurzeln in der Kirche liegen – er beeindruckt durch stimmlich Varianz, vor allem der Wechsel in einen sehr energischen Predigt-Stil kommt beim ersten Hören geradezu überraschend. Gesangspartnerin bei diesem Stück ist übrigens seine Frau Tarsha McMillian. Am anderen Ende des Geschwindigkeitsskala steht „I Know What Loves All About“ – läuft die Platte jetzt rückwärts oder ist es einfach nur so langsam könnte man sich beinahe fragen.
Auf Effekthascherei ist Anthony Hamilton nicht angewiesen, das Reggae-Feeling im Track „Everybody“ hatte ich zwar nicht erwartet, fügt sich bei aller Überraschung gut ein. Es hat weit mehr Soul als ein durchschnittlicher reiner Soul Song der meisten aktuellen Künstler. Die Zeile „You’ve got that southern stuff I like” aus “Southern Stuff” lässt sich für sich genommen auch auf den Künstler münzen, denn viele seiner Fans fasziniert gerade, dass er sich in seiner Musik am rauen Southern Soul orientiert. Nichts gegen weichen, zarten Soul im Stile Luther Vandross mit kühler, synthetischer Instrumentierung, doch auf die ungeschliffenen, warmen, erdigen Töne möchte ich nicht verzichten. Anthony Hamilton gehört zu den wenigen, die hier liefern. Premium-Qualität dazu!
Erstaunlich ist, wie konsequent sich Anthony Hamilton auch diesmal der Chance verweigert, durch Flirt mit Hip-Hop ganz groß raus und dick ins Geschäft zu kommen. Immerhin ist das für ihn keine fremde Welt: Er hat für die Nappy Roots in „Po’ Folks“ gesungen und damit die Nominierung in der Kategorie „Best Rap/Sung Collaboration“ ermöglicht, beim einst schnellsten Rapper der Welt – Twista – mit seiner Stimme „Sunshine“ veredelt und „Why“ von Jadakiss das gewisse Extra verliehen. Anthony Hamilton weiß bestens, wie gut diese Mélange aus Rap und Soul funktioniert. Mit D’Angelo war er auf Welttournee, kennt also aus nächster Nähe Neo-Soul, der sich breit vermarkten lässt.
Im Grunde ist es mit Neo-Soul wie beim Brunch: Obwohl man sich gerne ordentlich was auf den Teller laden möchte, traut man sich doch nicht, das schon zu Mittag zu essen und geht einen mehr oder weniger sinnvollen Kompromiss ein. Ein Grammy-Brunch war es 2003 jedenfalls, auf dem Michael Mauldin, ein Veteran in der Musikindustrie, Hamilton bei einem Live-Auftritt erlebte und seinem Sohn Jermaine Dupri [Mauldin] davon erzählte. Ja! Ausgerechnet So So Def-Mann Dupri bot Anthony Hamilton die Möglichkeit, mit seinem eigenen [!] Sound groß zu starten.
FAZIT: „Ain’t Nobody Worryin’“ bringt echten Soul, kein Retro- oder Neo-Soul-Feeling – auch wenn Anthony Hamilton Traditionen aus den späten 60er und 70er Jahren hochhält, wirkt seine Musik authentisch.
Künstler: Anthony Hamilton | Album: Ain’t Nobody Worryin’ | Label: Zomba (Sony BMG) | VÖ: 3. Februar 2006)