Wie in der Kolumne vom letzten Monat steht am Anfang ein bluesiges Thema, denn: beim Blick aus dem Fenster ereilt so manchen der November-Blues. Grautöne und kühle Feuchtigkeit schlagen uns entgegen – da hilft nur eines: die sieben Sachen packen und entfliehen. Den Koffer stellt Keb‘ Mo‘ bereit. „Suitcase“ (Epic/One Haven/Red Ink) nimmt sowohl die Melancholiker als auch diejenigen mit, deren Optimismus unerschütterlich ist. Denn der singende Gitarrespieler hat bei allem Schwermut im Songgepäck immer Hoffnung draufgepackt, die mit Leichtigkeit und Tiefgang zugleich auf die Reise geschickt wird. Auch wenn ich ihn erneut für einen Vergleich bemühen muss – aber wenn Hawaii-Mann Jack Johnson Blues machen würde – dann wäre er nicht allzu weit weg vonKeb‘ Mo‘.Eine Feierplatte, wie sie im Buch steht, hat Nate James eingesungen. Auf „Set The Tone“ (Frofunk/edel) fasst er seine Tanzstundenpartner ähnlich an wie Lemar: James nimmt auch diejenigen an die Hand, die sich Soul und R&B eher von der Popseite her nähern. Bei Songs wie „Can’t Stop“ werden Erinnerungen an die besten Tage von Kool & The Gang wach – viel Lorbeer also für den Newcomer, der sich mit Dawn Robinson und Sway duettiert.
Nicht ganz so fröhlich, aber ebenfalls groovy geht DJ Jazzy Jeff sein Mixprojekt „Hip-Hop Forever III“ (BBE/Rapster Records) an. Er pickte ausschließlich respektable Kollegen wie Big L, Masta Ace oder Gang Starr für sein Set. Nickende Köpfe und zuckende Beine sind unvermeidlich bei dieser Platte, die ob der Kunststückchen an den Plattenspielern zudem die DJs verzücken wird.
Nicht alltägliche Werkzeuge hat Henrik Schwarz für die Erstellung seines „DJ-Kicks“-Tapes (!K7-Records) benutzt: nicht alltäglich in dem Sinn, dass der Deutsche zwischen house- sowie jazzlastigem Dance und Soul switcht, und zwar hin und her! Schwarz kriegt tatsächlich die Kurve zwischen Künstlern wie D’Angelo und Artist Unknown – ohne das Terrain der schwarzen Musik zu verlassen …
Die Leipziger Crew Rhyme Addicz will sicher irgendwann hoch hinaus und einer wie Opossum hat ja gezeigt, dass sich auch ein Sachse in diese Liga hochspielen kann. Die drei Jungs aus der Messestadt leben auf „Fallout“ ihre Freude an der Kultur aus. Das hört und spürt man – bei allen Ecken und Kanten, ohne die ein Nachwuchsteam ja auch nicht wachsen kann. Das da mehr sprießen könnte, lassen Textbausteine wie „der Hurensohn – ein Leben im toten Winkel“ wissen. Das Trio stammt übrigens aus dem Umfeld der Stylerkings, über deren intelligent getextetes Album „SK-lation“ ihr demnächst von mir mehr lesen werdet!
Weil die Rhyme Addicz noch so jung sind, sehen wir ihnen auch nach, dass sie keine Titelliste an uns geschickt haben. Auch Nesti hat in Sachen Promotion nicht ausgelernt. Er macht sich mit der Ansage, alle Titel würden nach der Hälfte der Spielzeit ausgeblendet, noch vor dem Opener viele Rezensenten zum Feind. Mit „Vier Jahreszeiten“ (LaCosaMia) liefert der Kölner dennoch ein durchdachtes und gut abgehangenes Album ab, bei dem Dichtung und Instrumentierung im Gleichschritt gehen. Der Nachbar der FIRMA erzählt „Geschichten aus der Nachbarschaft“; auch nasty sujets wie der Rothenburger Kannibale werden für Nesti zum Thema.
Der frühere Kraan-Fahrer und Ex-Tab Two-Bassist Hellmut Hattler kennt auch auf seinem neuen Album keine Grenzen. „The Big Flow“ (Bassball) ist zwar über weite Flächen vom Gesang seiner Neuentdeckung Fola Dada geprägt, dennoch lässt der 54jährige die Schlagbäume zwischen Jazz, Downbeat und Electronica nebst sämtlichen Enklaven offen. Hattler sagt, die Botschaft stecke hinter einer Styroporwand, die erstmal durchbrochen werden müsse. Wer an der Wand vorbeigehe, den lasse die Botschaft auch in Ruhe. Kurz gesagt – es ist eine der Platten, die mehrfach gehört werden wollen. Und sie verdient es auch, mehrfach gehört zu werden.
Ebenfalls nicht unbedingt einfach ist der Zugang zur Musik von Lychee Lassi. Dahinter stecken Bassist Beat Halberschmidt, Gitarrist Dirk Berger, Drummer Roy Knauf und DJ Illvibe (ja, genau; der von Seeed!), deren Album „Out Now“ (Blue Pearls Music) jetzt draußen ist. Illvibe charakterisiert treffend den Sound der CD, die mit einem Drum & Bass-Gewitter beginnt: „Der Lychee Lassi-Sound enthält zwar Elemente von Hip-Hop, House, Jazz und Funk, aber eben nicht das, was man sich landläufig darunter vorstellt. Das sind eher Dinge, die links und rechts neben der Mitte liegen, aber trotzdem passieren“. Interessant ist es allemal, es knarzt und groovt gar mächtig; aber massentauglich werden Lychee Lassi damit keinesfalls. Wie war das doch gleich mit dem Durchbrechen der Styroporwand…?