Das ist schon mal erstaunlich: nicht die guten Kritiken und Vorschusslorbeeren, sondern dass sich ein Album wie der Erstling von Corinne Bailey Rae in ihrer britischen Heimat tatsächlich wie geschnitten Brot verkauft (von 0 auf 1 in den UK Album-Charts).
Neulich habe ich den Begriff Coffee Table Soul das erste Mal gelesen und bei mir gedacht: Warum ist mir das bloß nicht eingefallen!? Für eine Nische – und versehen wir sie ruhig mit solch aromatischem Namen – ist „Corinne Bailey Rae“ perfekt: Singer-Songwriter-Gitarren-Soul mit genug Anspruch, um erwachsenen Hinhörern zu gefallen.
Sie als neue Billie Holiday zu vermarkten, ist doch etwas vorwitzig. Sagen wir lieber: Wer mit Billie Holiday etwas anfangen kann, sollte Corinne Bailey Rae testen. Ähnliches ließe sich aber auch für die Fans von Sade sagen. Deren Lieder könnte Corinne Bailey Rae sicher sehr interessant zu Gehör bringen.
Um die zweifelhafte Sache mit den Vergleichen mit einem Dritten Beispiel abzuschließen: Mich erinnert sie eher an India.Arie, die es mit Gitarre, sinnvollen Texten und Mainstream-Verweigerung bereits zu einer phänomenalen Soul-Karriere gebracht hat. Diese Chance sehe ich für Corinne Bailey Rae, weil auch ihr Sound – trotz allem – einige sehr radiofreundliche, charttaugliche Songs bietet.
Ansonsten hoffe ich, dass Corinne Bailey Rae dem Druck standhalten wird, um so etwas wie einen eigenen Weg zu gehen. Immerhin hat sie ihren Fehler, zu glauben, sie könne nicht singen, inzwischen eingesehen. Sie kann es! (Wenn jetzt noch einige andere, die meinen, sie könnten es, auch ihren Fehler einsehen würden, wäre ich auf einmal sehr optimistisch hinsichtlich der Entwicklung von Black Music.) Ihren Gesangsstil hat sie entwickelt, weil sie die hohen Töne, wie sie so oft im Radio zu hören sind, nicht singen kann. Ein Glück, denn sonst wäre sie weniger eigenständig im Stil. Dass sie bereits so gefeiert wurde, bevor sie ihr erstes Album überhaupt veröffentlicht hatte, findet Corinne Bailey Rae dennoch sehr merkwürdig.
Dafür, dass sie ihre Songs selbst schreibt, erscheinen mir elf verschiedene Co-Writer für ein Album mit elf Songs zuviel. Das Ergebnis wirkt dafür überraschend ausgewogen und in sich gut abgestimmt. Wenn es so gut funktioniert, will ich mich über diese Talentanhäufung nicht beschweren, sondern mich am Ergebnis erfreuen. An das Schreiben von Songs herangeführt, wurde sie in einer Jugendgruppe ihrer Kirche zuhause in Leeds. Und ja: Im Kirchenchor gesungen hat sie auch eine Zeit über.
Ihre Rock Music-Vergangenheit lässt die Künstlerin nur ganz leicht durchscheinen – das Album als Ganzes ist einfach sehr entspannt und gefühlvoll, bietet mehr Jazz-Pop denn Protest-Rock. Anstatt auf Honigsüße setzten die acht Produzenten ihres Debüts auf Ursprünglichkeit, Einfachheit und wohl kalkulierte Ungeschliffenheit. Das erinnert mich ein wenig an Jeans, in die schon in der Fabrik Löcher eingearbeitet werden – von wegen authentischer Look und so.
Was spontan wirken soll, muss im Show Biz ja auch besonders gründlich vorbereitet werden. Welches Image für Corinne Bailey Rae mit viel Geld und Aufwand aufgebaut wird, braucht uns beim Genuss ihres ersten Longplayers nicht zu interessieren – nur glauben sollten wir nicht alles.
Künstler: Corinne Bailey Rae | Album: Corinne Bailey Rae | Label: EMI Record (EMI) | VÖ: