Das wurde aber auch Zeit! Zehn Jahre liegt „Conversation Peace“ zurück, da sind die Erwartungen an „A Time 2 Love“ gewaltig. Einerseits. Andererseits sind seine Fans so ausgehungert, dass nicht wenige seine CD auch kaufen würden, läse er darauf nur das Telefonbuch seiner Geburtstadt Saginaw in Michigan vor.
Vor allem wird eine faire Bewertung erschwert, weil Stevie Wonder einfach eine lebende Legende ist, ein Über-Musiker aus – wenn schon nicht einer anderen Welt – doch zumindest aus einer anderen Zeit. Das stimmt ja irgendwie auch, seine erste Platte veröffentlichte er 1962 und er ist sich musikalisch bis heute treu geblieben. So klingt „A Time 2 Love“ dann auch in erster Linie nach Stevie Wonder, Fragen hinsichtlich einer stilistischen Einordnung müssen sich hinten anstellen. Und von aktuellen Trends lässt sich der „55 year old Genius“ nun erst recht nicht mehr erpressen. Musik wie diese entsteht, wenn ein herausragender Künstler sein Talent frei ausleben darf.
Meinen Geschmack hat er mit dieser Mischung sehr gut getroffen, viele Kritiker beklagen indes ein Übergewicht an langsamen Stücken. Davon gibt es zum Glück eine Menge, doch mit „What The Fuss“ und „Positivity“ – beide als Single ausgekoppelt – beeindruckt Stevie Wonder wieder einmal mit geballter Energie. Dabei kann ich gar nicht sagen, in welche Stücke er mehr Leidenschaft gepackt hat, denn vom ersten bis zum fünfzehnten Track scheint die Musik unmittelbar aus der Seele des Künstlers zu strahlen. Stevie Wonder überzeugt auf ganzer Linie.
Mit Gästen wie Prince, India.Arie, En Vogue, Paul McCartney und Doug E. Fresh muss sich Stevie Wonder nicht brüsten, aber sie schaden dem Album auch nicht – denn das gibt es oft genug, dass Gastkünstler zu sehr ihren eigenen Stil einbringen. Stevie Wonder kann es sich leisten, für sein Album Profis zu Unterstützung zu haben, auch wenn diese wiederum nur einen Bruchteil ihrer Fähigkeiten einbringen. Das ist echter Luxus! In diese Richtung geht auch die Frage, ob er Musiker aus dem Symphonischen Orchester von L. A. oder den West Los Angeles Choir wirklich hätte anheuern müssen. Schließlich hat er in der Vergangenheit, in der er ganze Alben zum größten Teil selbst eingespielt hat, dass er das Meiste sehr gut selbst tun kann. Was man auf den ersten kurzen Blick auf das Cover auch als Handy wahrnehmen kann, ist selbstverständlich seine Mundharmonika! Übrigens ist auch eines seiner Kinder, Aisha Morris (bei zwei Stücken) wieder zu hören.
FAZIT: „A Time 2 Love“ ist eines der besten Alben des Jahres 2005. Um es voll auskosten zu können, muss man sich allerdings Zeit nehmen, die Feinheiten zu entdecken und bereit sein, sich auf die tiefen Emotionen einzulassen.
Künstler: Stevie Wonder | Album: A Time 2 Love | Label: Motown (Universal) | VÖ: 21. Oktober 2005