Viele hatten nicht daran geglaubt, dass es wahr werden könnte; dass der Godfather of Soul wirklich zu den Konzerten in den Osten Berlins kommt. Tausende versammelten sich an dem warmen Sommertag 1988 auf dem Open Air-Gelände; tausende Soul-Fans, die ähnlich tickten: Sie hatten sich längst für den American way of music entschieden und hofften inständig, dass ER an diesem Abend leibhaftig vor ihnen stehen würde.
Die Wailers spielten als Opener-Act und dann startete eine Soul-Revue, die DDR-Bürger – wenn überhaupt – nur vom Fernsehen kannten. Eine knappe Viertelstunde wurde der Meister von seinen Sidemen angeteast, dann erst zeigte sich Mr. Brown das erste Mal auf der Bühne. Dieses Vorspiel unterschlägt die DVD, die zwar mit dem Sticker „Full Live Concert“ wirbt, aber daran erinnern sich nur diejenigen, welche damals dabei waren. 17 Jahre später lässt einen der Anblick der drei Friedenstauben auf der Bühnendeko schmunzeln: Sicher dachten die FDJ-Oberen, ein unterdrückter Schwarzer aus den USA werde für den Frieden in der Welt singen – doch James Brown gab nicht die männliche Antwort auf Angela Davis ab. Schon der Opener „Living in America“ musste der Kultur-Nomenklatur sauer aufstoßen. Das DDR-Fernsehen filmte das „Friedenskonzert gegen NATO-Waffen“ mit mindestens fünf Kameras, so dass sich aus dem Adlershofer Archivbestand ein guter Eindruck zusammenschneiden ließ.
Die Cutter schnitten ihre Sequenzen für die DVD meist hart, was bei diesem funky Sound passend ist. Zwölf der bekanntesten Stücke aus Browns Songbook sind zu sehen und zu hören, u.a. „I Got The Feeling“, „Papa’s Got A Brand New Bag“ und „Sex Machine“. Der Godfather war bei diesem Berliner Konzert in Top-Form; er spielte seine berühmten Spiele mit dem Mikroständer und führte sogar einbeinige Tänze vor – das hatte er bei seinem nächsten Ost-Besuch Mitte der 90er in Dresden so nicht mehr hinbekommen … auch die orangefarbene Brille trug er nicht mehr. Maceo Parker – damals mit Mega-Backenbart – kann mit einem superben Solo in „Prisoner Of Love“ bewundert werden. Neben der knapp einstündigen Spielzeit hat die leicht navigierbare DVD wenig Schnickschnack im Anhang: sie wartet noch mit einer recht ausführlichen Diskografie auf, die zwar keine Angaben zu den Labels macht, aber immerhin fast up to date ist.
Nur das bislang letzte Studioalbum von JB, „The Next Step“ (2003 für Fome Records/CNR Int’l aufgenommen), fehlt. Für viele wird diese DVD ein normaler Konzert-Zusammenschnitt sein. Für mich jedoch – und für die Tausenden anderen Soulfans – wird damit ein Ereignis nachträglich bebildert, dessen Bilder wir sowieso im Langzeitgedächtnis abgespeichert hatten und niemals vergessen hätten. Selbst, wenn die Mauer nicht gefallen wäre. Bleibt noch der Nachtrag, dass die Crew um James Brown nur Tage nach dem Open Air eine weitere Show in der Berliner Werner-Seelenbinder-Halle gegeben hat. Falls sich Archivbilder davon finden lassen, sollte einer DVD „Live in Berlin II“ nichts im Weg stehen.
Künstler: James Brown | DVD: Live in Berlin | Label: Universal Music Int’l | VÖ: 15. März 2005