Herbie Hancock hat eine Reputation als Mann, der die Abwechslung liebt; Stil/e und musikalische/s Forschungsgebiet/e tauscht er nach Belieben, oft so fix und umfassend, dass manch weniger flexible Geist der rastlosen Schaffenskraft des genialen Pianisten und Keyboarders gelegentlich nicht weiter zu folgen vermag. Kopfschütteln ist ihm daher im Laufe seiner ebenso langen wie glanzvollen Karriere immer mal wieder entgegengebracht worden; weitaus häufiger jedoch Staunen und Begeisterung, denn Herbie Hancock spielt wirklich wie kaum ein anderer.
Seinen Status als absolute, lebende Legende seiner Instrumentengattung hat er zu Recht inne; und mit „Possibilites“ zeigt er einmal mehr, warum. Die „Möglichkeiten“, die sein neuestes Album versammelt, sind eine Serie von Begegnungen mit einer Auswahl der profiliertesten Vokalisten und Songwriter der letzten drei Dekaden plus einigen talentierten Neulingen, die gerade erst am Anfang ihrer jeweiligen Laufbahn/en stehen.
Am Anfang stand Hancock’s Frage, was wohl geschehen würde, wenn er eine Liste von ihm bewunderter Künstler aufstellte – solche, mit denen er bereits gearbeitet hatte und solche, auf die er einfach nur persönlich neugierig war – und diesen dann eine offene Einladung zukommen ließ, mit ihm im Studio „was zu machen“? Es gab keinerlei übergeordnetes Konzept in seinem Kopf, keine Agenda, kein vorgefasstes Tracklisting; nur den Wunsch, eine Handvoll musikalischer Kollegen zusammenzufinden, die wie Hancock nach neuen Wegen, nächsten Schritten, eben: neuen Möglichkeiten auf der Suche waren. Letztendlich sind seinem Ruf dann doch einige mehr gefolgt als nur eine Handvoll, weswegen sich das LineUp von „Possibilites“ wie ein ebenso dickes wie genreübergreifendes Who is Who der zeitgenössischen Musikszene.
Neben Herbie Hancock selbst (Piano, Keyboards, Orgel) sind allein 3 weitere Keyboarder bzw. Organisten mit dabei, namentlich Michael Bearden, Chester Thompson und Greg Phillinganes; Top-Vokalist(inne)en wie Christina Aguilera, Joss Stone, Angelique Kidjo, Sting, u.a.; weiterhin 8 Gitarristen von Rang, in Person von Carlos Santana, Lionel Loueke, Trey Anastasio (+ vocals), Tony Remy, Paul Simon (+ vocals), Newcomer Jonny Lang (+ vocals), James Harrah und Raul Midön (+ vocals), ebenso viele grandiose Bassisten, nämlich Pino Paladino, John Patitucci, Nathan East, Reggie McBride, u.a., Spitzen-Drummer wie Dennis Chambers u.v.a.; weitere prominente Gäste runden das Bild ab. So steuert z.B. Stevie Wonder himself die Harmonika zum eigenen Track bei, und, last but not least, zupft in Gestalt von Schauspielerin Gina Gershon auch noch ein echter Hollywood-Star die Maultrommel; kein Scherz.
Wer nun dieses Aufgebot mit seinem inneren Plattenschrank abgleicht wird sich sicher fragen, wie denn das wohl alles zusammengehen mag; aber keine Sorge, das tut es; das tut es sogar wirklich richtig gut. In verschiedenen Konstellationen erwecken Hancock und seine jeweiligen Mitmusiker 10 Songs aus den Federn von John Mayer, Sting, Trey Anastasio, Paula Cole, Arthur Birdsong, Harold Alexander, Paul Simon, Leon Russel, U2 und Stevie Wonder zu schönstem Leben, darunter Perlen wie „Sister Moon“; „Hush, Hush, Hush“; „When Love Comes To Town“ u.a. Ein traumhaftes Album, zu dessen Entstehungsgeschichte/n das Booklet mit seinen Liner Notes von Michael Hill noch viele interessante Details liefert, aus denen sich ablesen lässt, das Herbie Hancock dieses Album mit geradezu abenteuerlustiger Attitüde angegangen sein muss auf seiner Suche nach neuen Inspirationen und Gelegenheiten, diese zu finden.
Dazu kann man nur sagen: das hat sich gelohnt, das Abenteuer. Immerhin hat es zu diesem Album geführt. Zu einer Platte wie eine gute (Liebes)Beziehung in ihren Anfängen: verspielt und sexy, sinnlich und voller Wärme.
Künstler: Herbie Hancock | Album: Possibilites | Label: Warner Classics & Jazz | VÖ: 23. September 2005