In den letzten zehn Jahren hat Uri Caine immer wieder ein Doppelleben geführt. Auf der einen Seite als einer der kühnsten und dynamischsten Pianisten der Jazzszene (gleich, ob in den mit Preisen ausgezeichneten Ensembles von Don Byron und Dave Douglas oder mit seinem eigenen Trio und den Soloprogrammen), auf der anderen Seite als ein weltweit anerkannter Konzeptentwickler, der radikale Neuinterpretationen des klassischen europäischen Werke-Kanons lieferte und beziehungsreiche Hörreisen durch das moderne Rio de Janeiro oder die Tin Pan Alley zur vorletzten Jahrhundertwende inszenierte.
„Shelf-Life“ ’stiehlt’ sich ein wenig von beiden Seiten, und mischt daraus ein ebenso heißes wie geschmackvolles Fondue. Im Zentrum dieses Albums steht nicht nur das herausragende Spiel der Protagonisten – also Uri Caine selbst, Schlagzeuger Zach Danziger und Bass- & Gitarrist Tim Lefebvre [aufmerksamen Musikgenießern hierzulande sind die beiden letzteren sicher auch geläufig durch ihre Zusammenarbeit/en mit Till Brönner] -, sondern auch der thematische Tribut an den Geist des Groove. Nicht allein die Vielfältigkeit des zeitgenössischen Groove wird zelebriert, sondern auch die Reminiszenz an jenen Sound, der die Polyester-Siebziger bestimmte; in den Discos, im Radio, und in all den Fernsehserien, in denen Polizisten Schurken jagten.
Bedrock, die ihre stimmige Chemie schon vor einigen Jahren auf einer Winter & Winter- CD mit dem Gruppennamen als Titel unter Beweis gestellt haben, erweitern die Formel hier um Anleihen aus der Musik alter Schule, mit einem Ton, der respektlos, aber doch gefühlsgeladen ist. Keine Ironie, keine Nostalgie – sondern ein raffinierter und intelligenter Ausflug, weit schweifend, doch keinesfalls langweilig. Ein intensives Erlebnis, ohne Frage. Maßgeblich daran beteiligt sind, neben dem Kerntrio, eine Handvoll gewichtiger Gäste: Trompeter Ralph Alessi und Sängerin Barbara Walker werden den Fans von Uri Caines wohlreputierten Klassik-Umbauten bekannt sein, genauso wie der unbändige DJ Olive. Tenorsaxophonist Bootsie Barnes ist eine Hauptstütze der Jazzszene in Caines Heimatstadt Philadelphia; aus der dortigen R&B Szene kommt auch Bunny Sigler, dessen Arbeit mit Philadelphia International Records half, den Philly Soul Sound zu definieren.
Den Mix runden Elektronikproduzent Luke Vibert, Klarinettist Ruben Gutierrez, Perkussionist Arto Tunçboyaciyan und String Programmer Dan Zank ab. Ein homogenes Gefüge kundiger Spezialisten, das gemeinsam einen nicht minder homogenen klanglichenKosmos ins Leben gerufen hat. Vielfältig wie das Leben selbst, mit reichlich Raum für Humor, Individualität und mutige Grenzverschiebung. Vergangenheit und denkbare Zukunft treffen sich glücklich in der Gegenwart. Und zwar so, dass es funkt.
Künstler: Bedrock | Album: Shelf-Life | Label: Winter | VÖ: 16. Juni 2005