Nur weil Brian McKnight ein großartiger Sänger ist, bedeutet das nicht, dass er auch jedes Mal ein großartiges Album veröffentlicht. Diesmal hat er aber doch! „Gemini“ ist sein 8. Studioalbum, so dass ein Vergleich sinnvoll ist.
Diese CD ist eine seiner besten, kein Gedanke an das langweilige „Superhero“ kommt mehr auf, Brian McKnight ist in Bestform! Sogar der erste Track „Stay With Him“ – mit Intros kann ich sonst meist wenig oder gar nichts anfangen – fasziniert.
Größte Einschränkung: Brian McKnight konzentriert sich wohl zu stark auf die ruhigen Seiten, was mich persönlich überhaupt nicht stört, was ich dennoch für einen Fehler halte, weil er Chancen verschenkt. Schließlich ist auf einer CD mehr Platz, als der Künstler dieses Mal nutzt.
Immerhin hat er nicht nur in der Vergangenheit bewiesen, dass er auch mit Party Tracks punkten kann, sondern lässt bei den kräftigen Midtempo-Nummern „She“ und „Grown Man Business“ durchscheinen, dass er immer noch weiß, wie’s geht. Schade also!
Die Wahl des Albumnamens geht zurück auf sein eigenes Sternzeichen, doch da ist noch mehr: Im Gegensatz zu anderen im Sternkreiszeichen „Zwillinge“ Geborenen – meint Brian McKnight – würde er nicht vor seinem bösen Zwilling davon laufen.
Das macht sich dann darin bemerkbar, dass Brian McKnight einerseits verstärkt auf Inhalte setzt, zum anderen Lust und Liebe nicht zu kurz kommen lässt. Mit „Gemini“ bekommen wir somit ein Album, das gewissermaßen eine Ko-Produktion von Brian McKnight mit sich selbst ist. Zu den Produzenten zählen außerdem Mike City, Carvin Higgins, Ivan Barias und Anthony Nance.
Obwohl „Gemini“ insgesamt ausgesprochen soft ist, hat Brian McKnight Gäste wie Juvenile, Akon und Talib Kweli – sowieso hat er entschieden, sich nicht mehr darum Sorgen zu machen, in welche Kategorien er passt, in welchen „Formaten“ von Radio er gute Chancen auf Airplay hat, sondern einfach er selbst zu sein. Daher wirkt die Zusammenarbeit mit Rappern auch nicht als rein kommerziell motivierter, strategischer Schritt zur Ansprache der entsprechenden Zielgruppen – und schließlich finden auch Doo-Wop und Jazz Aufnahme ins Repertoire. Beim Stück „Everything I Do“ erinnert er mich stark an Prince, prüft das mal!
Weniger Marketing und mehr Brian McKnight also – ein guter Schritt für die Kunst und Brian McKnight kann ihn sich nach seiner beeindruckenden Karriere auch leisten. In diese Richtung deutet auch die sparsame Instrumentierung, wie sie sich nur Sänger leisten können, die stimmlich echte Leistung bringen können.
Negativ aufgefallen ist manchem, dass auf „Gemini“ einige Stücke vergleichsweise lange Passagen haben, in denen nicht gesungen wird. Gerade die daraus entstehende entspannte Stimmung hebt das Album nach meinem Geschmack noch einen Level weiter nach oben. Mit „Gemini“ geht er einen soliden Schritt weg vom R&B-Mainstream hin zu echter Kunst (und lässt die Überlegung, auch mal ein komplettes Jazz-Album aufzunehmen, realistisch erscheinen), ohne deshalb auf unanständige Gedanken beim Songwriting verzichten zu müssen.
„Gemini“ empfehle ich daher auch ausdrücklich als Musik für Couch und Bett – gerade wenn das Ziel der Mission nicht nur die Öffnung der Schenkel, sondern des Herzens ist. Doch Vorsicht: Wem gerade das Herz gebrochen wurde, sollte mit diesem Album warten, denn „Gemini“ kann aus Traurigkeit Verzweiflung machen. Auf die starken Emotionen, die Brian McKnight mit „Gemini“ weckt, will sich bestimmt nicht jeder einlassen – und nicht jeder, der es wagt, kann am Ende damit umgehen. Das wiederum ist die höchste Auszeichnung, die ich mir für ein Album dieses Genres vorstellen kann.
Künstler: Brian McKnight | Album: Gemini | Label: Motown / Universal | VÖ: 8. Februar 2005