Manche Künstler werfen locker ein Album nach dem anderen auf den Markt, andere, wie Twista, erreichen eher das andere Extrem. Doch wenn das Ergebnis sich dann so anhört wie „Kamikaze“, werd’ ich nicht meckern. Zugegeben: Vom ersten bis zum letzten Track ist es nicht klasse. Nach den ersten Songs dachte ich: Au weia, geht das so weiter bis zum 16. Song? „Pimp On“ hinterlässt bei mir eine unangenehme Unruhe, macht mich wirr im Kopf. Dabei lassen die Gäste 8 Ball und erst recht Too $hort doch viel, viel mehr erwarten.
„Kamikaze“ strotzt nur so von Abwechslung, warum die drei schwächsten Tracks aber gleich den Anfang machen, will mir nicht in den Kopf, auch wenn mir schon klar ist, dass Musikgeschmack eine sehr subjektive Angelegenheit ist. Doch ab Track 4 ist die Welt wieder in Ordnung, wobei ich beim ersten Hören dachte: Für „Slow Jamz“ brauch’ ich dieses Album nicht, da greif’ ich lieber zum Debüt-Longplayer von Kanye West, denn auf „The College Drop Out“ ist diese Hit-Granate auch enthalten.
Echt beeindruckt war ich dann auch erst ab Track 5 „Overnight Celebrity“. Die Nummer wär’ ein guter Starter für eine Hip-Hop Version des „Paten“, falls so was je gedreht wird. Das kommt mir jedenfalls immer in den Sinn. Eingängig, gefühlvoll, kommerziell…großes Kino irgendwie.
Daran schließt sich perfekt die Nummer 6, „Still Feels So Good“ mit dem Feature von Jazze Pha an, das in einem ganz ähnlichen, ruhigen, aber kraftvollen Stil sehr souverän gemacht klingt. Überhaupt Gäste: Meistens bin ich ja ziemlich genervt von der Flut an Gästen, die sich auf Hip-Hop Alben heutzutage finden, aber bei „Kamikaze“ ist das anders, was sicher auch daran liegt, dass sich Weltrekordler Twista (1992 Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde als der schnellste Rapper der Welt noch unter dem Namen Tung Twista) so schnell von niemandem die Butter vom Brot rappen lässt. Zum anderen liegt das bestimmt auch an Twista’s eigenem Stil, an dem man ihn stets klar heraushören kann.
Der fast schon obligatorische Track mit R. Kelly (Macht einer mehr Gastauftritte zurzeit als er?!) kommt äußerst soft daher, fast schon zu sanft für ein Hip-Hop Album. Immerhin haben sie beide Chicago als Heimatstadt gemeinsam.
Sehr bereichernd ist der Auftritt von Rakenstarter „Who Is This? ? Ludacris!” bei “Higher”. In seiner kalten, übersichtlichen Ruppigkeit hilft er dem direkt davor sich befindenden eher verspielten Track mit R. Kelly durch den stilistischen Kontrast „Higher“ wär’ beinahe mein Favorit auf dem „Kamikaze“ Longplayer geworden, doch dann steht als vorletztes Lied noch „Sunshine“ auf der Liste.
Ich weiß schon, was manche jetzt denken: Wie anspruchslos vom Kritiker, kaum baut jemand ein Sample vom Bill Withers Hit „Lovely Day“ in seinen Song ein, schon geht er dem auf den Leim. Naja, ein „Hinhörer“ ist das Sample allemal, doch besticht das Konzept von „Sunshine“ schon mal dadurch meine Ohren, wie das Ganze aufgebaut ist: Zuerst hört man „Lovely Day“ fast 20 Sekunden über wie aus einem Billig-Radiowecker rauschen. Dann wird auf modern umgeschaltet, wieder etwas später legen Twista und das neue R&B-Talent Anthony Hamilton nicht nur mit klasse Tempo, sondern auch mit einer Frische und Leichtigkeit los, als ob sie spontan zur Musik aus dem Radio mitsingen würden. Jedes Mal, wenn ich das höre, steigt meine Stimmung, wird stumpfes Grau zu saftigem Grün…scheint in meiner Seele wieder die Sonne, ja, es liegt wohl auch am Bill Withers Sample. Na und?
Mit „Kamikaze“ sollte es Twista gelingen, sich so weit nach oben zu katapultieren, dass man als sein Karriere-Highlight nicht immer seinen Gastauftritt auf „Po Pimp“ von Do Or Die bezeichnet, sondern seine eigenen Songs diesen Platz einnehmen.
Künstler: Twista | Album: Kamikaze | Label: Warner | VÖ: 19. April 2004