In der Karibik, da scheint immer die Sonne, jeden Tag, so denkt man sich das. Dazu passt dann auch der Sound von Kevin Lyttle, der mit seinem selbstbetitelten Album auf jeden Fall für entsprechende Stimmung sorgt. Bei mir hat er damit den Nerv getroffen, obwohl ich nicht mit den besten Erwartungen in das Album reingehört habe. Sein Welterfolg „Turn Me On“ hat mich von Anfang an genervt mit seiner übergroßen Massentauglichkeit und Innovationsarmut.
Interessant ist dagegen, was für ein langer Weg es für Kevin Lyttle mit diesem Lied war, doch gehen wir noch ein Stückchen weiter zurück! Seine Liebe zur Musik entdeckte er als Siebenjähriger auf der Schulter seiner Mutter, von der aus er beobachten konnte, wie die örtlichen Kalypso-Künstler um den Titel „Road March King“ beim jährlichen Karneval von St. Vincent stritten. Doch auch das Fernsehen, dem angeblich so bösen, Kreativität verhindernden Medium, brachte Kevin Lyttle wichtige Anregungen. Michael Jackson’s Moonwalk und zum Beispiel dessen Megahit „Billie Jean“ hinterließen einen großen Eindruck. Über das Fernsehen wurden R&B und Rap zu wichtigen Einflüssen für seinen eigenen musikalischen Stil, den auch Reggae geprägt hat. Ob seine Soca-Musik damit noch als irgendwie typisch bezeichnet werden kann, sei dahingestellt, der Künstler selbst nimmt für sich in Anspruch, von zahlreichen Musikkulturen aus aller Welt zu profitieren, was wiederum zum ethnischen Mix der Westindischen Inseln passt.
Durch seine Familie ist er stets in seiner künstlerischen Entwicklung unterstützt worden, gleich ob es sich um Tanzen, Singen oder Schauspielerei handelte. Seinen ersten eigenen Song schrieb er mit 14. Die Möglichkeit, nicht nur an zahlreichen Song-Wettbewerben, sondern auch kulturellen Austauschprogrammen in der Region teilnehmen zu können, hat ihm zusätzlichen Input gegeben.
Wie wichtig für seine Karriere die Unterstützung der Menschen war, die an ihn glaubten, zeigte sich auch nach der ersten, erfolglosen Platte. Seine Arbeitskollegen machten ihm Mut, nicht aufzugeben, sondern schließlich zwei Songs zu einem örtlichen Produzenten zu bringen. Eines der Lieder war „Turn Me On“, bei dem gerade Mal zwei Anläufe brauchte, um fertig zu werden. Nacht nicht einmal einer Stunde im Studio hatte Kevin Lyttle die Aufnahmen in der Tasche. „Turn Me On“ machte dann den Weg zu den Clubs und Radiosendern der Umgebung, von einem Smash Hit im üblichen Sinne zu reden, wäre also alles andere als richtig, war es doch ein jahrelanger Prozess!
Doch für mich sind andere Songs dennoch spannender, das Terence Trend D’arby Remake „Sign Your Name“ vermittelt ein ausgesprochen sommerabendliches Gefühl der Leichtigkeit und guten Laune. Mit nur zwei Features, verteilt auf drei Tracks („Screaming Out My Name“ ft. Assasin, „Mama Mia“ ft. Spragga Benz, „Turn Me On REMIX“ ft. Spragge Benz”) bleibt schön viel Raum für Kevins schöne, helle Stimme. Damit kann er weit länger als nur einen Sommer für Stimmung sorgen.
Eine – sagen wir „saisonale“ – Einschränkung sei noch erwähnt: „Kevin Lyttle“ von Kevin Lyttle ist wirklich nichts für kalte, graue Tage, dafür verbreitet es zu viel unbeschwerte Heiterkeit und Frohsinn. Klar kann man auch im Winter gut drauf sein, mir gefallen alle Jahreszeiten, doch es ist wie mit Weihnachtsliedern – im Sommer können die auch nicht recht begeistern.
Kevin Lyttle selbst sieht sich als Botschafter der Soca-Musik; na gut, soll er das so sehen. Meiner Meinung nach bietet er auf dieser CD eine schwer bestimmbare, höchst charttaugliche Mischung aus Soca, Reggae, Dance Hall, R&B und noch mehr, die viele Menschen anspricht, „ohne zu verkleben“, sprich: ohne billig, anspruchslos oder zu mainstreaming zu wirken. Kevin Lyttle bringt vielleicht keinen wirklich eigenständigen Sound in die Welt, doch er kombiniert Gutes aus unzähligen Richtungen auf sehr frische Art und Weise.
Künstler: Kevin Lyttle | Album: Kevin Lyttle | Label: Atlantic | VÖ: 1. Juni 2004