Es ist fast schon ein Ritual zum Jahreswechsel. Das Def Jam-Imperium öffnet die Schleusen und eine Flut an urbanen Klängen ergießt sich. Ja Rule – wieder von Irv Gotti produziert – meldet sich mit „The Last Temptation“ (Murder Inc.) zurück. Der ewige Zweite unter den grölenden Rappern grölt wie gehabt, aber diesmal mit mehr Herz für eingängige Melodien. Nur Toto’s „Africa“-Sample will nun wirklich niemand mehr hören. – Der Drachen kehrt in den Schoß seiner Band zurück. Sisqo und die wiedervereinigten Dru Hill nehmen mit „Dru World Order“ (Def Soul) Anlauf, um an den Erfolg ihres vier Jahre zurück liegenden Albums „Enter The Dru“ anzuknüpfen. Und gehen dabei neue Wege. Versetzte synkopierte Beats („If I Could“) von bislang unbekannten Produzenten aus Baltimore lassen aufhorchen. Auf die schlafzimmererprobte Konstante – den zuckersüßen Harmoniegesang – verzichtet das um einen Romeo erweiterte Quartett natürlich nicht.
Fast schon überzuckert kommt Mariah Carey auf „Charmbracelet“ (MonarC /Island) daher. Nachdem sie von der Virgin weggelobt wurde, gründete sie flugs das eigene Label MonarC, um sich erneut bei der urban community einzuklagen. Der Radius, den die Carey dabei absteckt, ist aber oft zu breit. Poppiger als Toni Braxton einerseits und daneben harte Raptunes mit hochgepitchten Vocals – was will sie denn nun eigentlich? Auch ihre Ausnahmestimme war auf früheren Veröffentlichungen variantenreicher im Einsatz.
Der 15-jährige Lil’ Bow Wow hat offenbar wegen seiner Schauspielereien nicht genügend Zeit für eine eigene LP gehabt – dennoch dominiert er mit vier Beigaben den Soundtrack zur US-Basketball-Komödie „Like Mike“ (So So Def). Bemerkenswert an dieser Kopplung sind nicht die R&B-Stücke von Jagged Edge, Mario etc., die von Jermaine Dupri nach So So Def-Raster gestanzt wurden, sondern vor allem ein Track von TCP: Die Köpfe hinter diesem Projekt besannen sich auf die Atl/Miami Bass-Tradition und fertigten einen Booty-Smasher, der allein den Kauf des Bow Wow-Soundtracks rechtfertigt. Mehr davon und viele Partys wären gerettet!
Nicht nur in den Dancehalls sorgt „Silly Walks Movement – Songs Of Melody“ (Four Music) für Furore. Das hanseatische Sound System schließt mit einem Reigen sympathischer Reggae-Stomper das bislang künstlerisch wertvollste Jahr für die SONY-Kreativzelle Four Music gebührend ab. Ein Hip-Hop-Kollektiv, das sich dem Zugriff der Darkchilds und Neptunes konsequent verweigert, ist Jurassic 5. Der Fünfer, der deshalb ohne Notierungen in oberen Chartgalerien auskommen muss, darf sich auch mit „Power In Numbers“ (Interscope) der Achtung und anhaltenden Anerkennung aus der Hip-Hop-Szene sicher sein. Ein lebendiger erdiger Sound und die korrekt gebauten Beats werden wieder für viel Applaus sorgen – those guys keep it right!
Fat Joe nutzt eiskalt den ‚What’s Luv-Ashanti‘-Auftrieb, um endlich auch außerhalb der Rapcircles als Soloartist den Durchbruch zu schaffen. „Loyalty“ (Atlantic) hat aber – abgesehen von „Crush Tonight“ und „TS Piece“ – nicht genügend Potenzial, um den Crossover in Albumlänge für das Schwergewicht zu schaffen. Dafür sind in diesen Wochen die Mitbewerber im Musikmarkt einfach zu stark.
„Jenny From The Block“ auf der Überholspur: Mit dem Album „This Is Me … Then“ (Epic) versucht Jennifer Lopez, zu Mary J. Blige aufzuschließen. Zwar gelingt es der „Queen of Latin R&B“ nicht, die „Queen of Hip-Hop Soul“ einzuholen. J-Lo ist aber gewachsen, was Songwriting, Gesang und Persönlichkeit anbelangt. So soulful wie auf dieser – ihrer bislang besten – Platte haben wir die Schöne aus dem Wohnblock noch nicht gehört. Wer noch Weihnachtsgeld übrig hat, kann beim Ausverkauf von Will Smith mitfeilschen. Sein Label Columbia hat auf „Greatest Hits“ alle großen Hits wie „Miami“ und die nicht ganz so großen Hits wie „Will2K“ im Angebot. Party People Will Gettin‘ Jiggy Wit It!
In den Clubs erntete Darnell seine ersten Sporen – „Whoa!“ füllt immer noch jeden Black Floor in D-Land. Jetzt schiebt der Sänger aus dem texanischen San Antonio sein Debütalbum „Darnell“ (ProperGamble) nach. Er wechselt zwischen Party Rap und R&B hin und her; interessant sind aber Stücke wie „Get Yo‘ Shit“, in denen er Electro und Hip House verquirlt. Der Mann, ohne den es die Funklegende Con Funk Shun nicht gegeben hätte, will auch im Terrain des Modern R&B seine Spuren hinterlassen: Mit seinem Soloalbum „This Heart Of Mine“ (Nor-Cal Atlanta) hat sich Michael Cooper gefühlvollen Liebesliedern mit wohldosierten Uptempi verschrieben; ein Rezept, das vor eineinhalb Jahren bei Luther Vandross wie ein Jungbrunnen wirkte. Tom Jones ist jung im Herzen geblieben. Für frischen zeitgemäßen Sound auf „Tom Jones International“ (V 2) sorgt Wyclef Jean. Selbst der kann aber nicht vermeiden, dass sich der 12 Stücke umfassende Reigen anhört wie übriggebliebenes Studiomaterial für das letzte Album. Der ´Tiger´ schleicht gezähmt durch die Songs und ist nicht mehr so bissig wie bei „Sexbomb“ oder „Burning Down The House“. Anspruchsvolles Material präsentiert der bei George Benson in die Schule gegangene Norman Brown auf „Just Chillin'“ (Warner).
Auftritte von Michael McDonald und Chante Moore bereichern diese Scheibe, die zehn smoothe Songs aus dem destilliert, wo sich Soul, Jazz und Latin überlagern. Völlig überbewertet wird derzeit Kool Savas. Er verkauft viel vom Album „Der beste Tag meines Lebens“ (Optik Records), weil er es cleverem Marketing zu verdanken hat, als deutscher Eminem aufgebaut worden zu sein. Der feine Unterschied: Der US-Bad Boy kann wirklich rappen. Tefla & Jaleel aus Chemnitz demonstrieren mit „Direkt neben dir“ (Phlatline) Bodenhaftung. Statt dummen Gedisses verteilen sie ironische Seitenhiebe, die von schwerem Beatgeschütz flankiert werden. Wenn die Welt gerecht wäre, dann würden die beiden Zonis (O-Ton) anstelle von Savas in den Charts sein.
Die Baha Men bringen ein wenig Wärme ins Haus. Auf „Move It Like This“ (S-Curve Records) lacht durch den Mix aus Booty und dem Junkanoo der Bahamas die ganze Spielzeit über die Sonne.